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Depp, das sitzt, bleibt im Gedächtnis

LESEPROBE / SUKARE

08/02/23 Mit der Familiengeschichte des Dragoners Rechermacher legt Hanna Sukare den dritten Band ihrer Trilogie der Suche vor. Die Autorin erzählt, changaierend zwischen Fiktion und Fakten, gegen den Krieg „und für den Frieden, gegen das Vergessen und für die Zumutung des Erinnerns“. – Hier eine Leseprobe.

Rechermacher

Von Hanna Sukare

Sprechen lernt August spät. Ein unauffälliger, ruhiger Bub, der August Rechermacher. Er wehrt sich nicht gegen die ruppigen Halbbrüder. Anfangs nimmt ihn die Mutter gegen die Älteren in Schutz, später stößt sie ihn von sich, schreit ihn an, wehr dich halt, Depp. Depp, das sitzt, bleibt im Gedächtnis und kann ein Leben begleiten. Vor den August stellen die Brüder und bald auch Nachbarskinder das Dumm, als gehörten zusammen der Name, das Dumme und das Hänseln. Als dummer August gilt er. Der kluge Hans ist in Straßwalchen kein Pferd, sondern Augusts ältester Bruder. Nanni, Augusts Halbschwester, zwölf Jahre älter als er, mag den Jüngsten, hätschelt ihn, als wäre sie die Mutter. Beim Essen sitzt der Händler mit den Kindern aus drei Ehen und mit der stämmigen Pfeifenraucherin um einen Holztisch. Er betet das Vaterunser, dann löffelt er mit den Kindern und der Frau aus einer Holzschüssel. Manchmal gibt er eine Anweisung, was an diesem Tag zu tun sei. Worauf man sich an diesem Tag freut und wovor man Angst hat, was einem in den Sinn gekommen ist, behält man für sich, wie Geheimnisse oder Sachen, für die man sich schämen könnte. Alle acht sind sie Untertanen des Herzogs von Salzburg, der auch Kaiser von Österreich ist.

August kniet im Baumschatten am Rand einer hügeligen Wiese, vertieft in das Gras hört er die Rufe der Kinder nicht, der Grund ihres Lachens ist ihm gleich. Meistens sitzt er irgendwo allein wie versteckt, an Plätzen, wo man ihn nicht leicht wahrnimmt. Da gehen die Ameisen hintereinander, eine tupft die andere unterwegs an, das Antupfen ist ihre Sprache. Er reißt Grasbüschel aus, bindet sie mit einem Halm zu einem Wedel an einen Stecken, geht wedelschwingend würdig aufgerichtet durch das Wäldchen. Ein Engel lebt im Stängel, singt August, die Alm wohnt in dem Halm. Der Baum über ihm ist eine hohe kirschige Braut, Wind durchstreift ihre weißen Schleier. Da ruft der Kuckuck, der erste heuer, August weiß nichts von den Jahren, die der Vogelruf verspricht. Die Schmetterlinge kleben sich aneinander, einer orange, der andere braun-grau reisen sie durch die Luft. August fragt nicht, wer er selbst ist, überhaupt und inmitten der Gräser, Tiere und Kinder, er ist eines von ihnen. In der Wiese liegt ein kleiner Vogel, ausgestreckt das Federkleid, als atme unter ihm noch Leben. Der Tag ist föhnig, Licht fällt auf Laub vom Vorjahr. Über den Himmel zieht weiß eine Kröte, wird ein Krokodil, das eine Maus frisst, die sich in einen Fuchskopf verwandelt. August erzählt, er habe an diesem Tag eine Braut gesehen, und das Kind, dem er das sagt, schreit: Du lügst, heut war nirgends Hochzeit, der August hat schon wieder gelogen, schreit das Kind den anderen zu. August geht zum Bach. Er sieht Gesichter in den großen Bachsteinen. Einer hat eine breite Lippe, grinst, der freundliche Bachgott, sagt August leise vor sich hin. Der Bach eilt Tag und Nacht, du fleißiger Bach, sagt August und kennt sein Ziel nicht, das dort ist, wo er aufhört, Bach zu sein.
Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlages.

Hanna Sukare: Rechermacher Roman. Otto Müller Verlag, Salzburg 2022. 212 Seiten, Preis 23 Euro, auch als e-Book erhältlich – www.omvs.at
Bild: Otto Müller Verlag / Milan Böhm

 

 

 

 

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