Schrift Kaliber 22
LESEPROBE / ULRICH KOCH / SELBST IN HOHER AUFLÖSUNG
17/01/18 Alles erwartet man, nur nicht die Bitte „stellt mir eines hin“ am Ende der Darstellung der Allgegenwart des Morgenradios. „Es wäre zu wünschen, dass den Gedichten dieses freundlichen Misanthropen endlich eine größere Aufmerksamkeit zuteil wird“, schrieb Martin Brinkman in der ZEIT über Ulrich Koch. – Hier eine Leseprobe.
Von Ulrich Koch
MORGENRADIO
Überall läuft es, seit ich auf der Welt bin:
während man mir die Haare schneidet,
als wir zur Schule fahren
und nach der zweiten Stunde
an den See, am See, beim Küssen, früh
in der Küche der Eltern,
im Werkbus über das Rollfeld,
im Blumengeschäft, im Taxi, am Klinikbett,
über uns in der Warteschlange
für Karten, Essen, Papiere,
gegen die Angst in der Ambulanz,
in der Kaserne, im Fahrstuhl,
auf dem leeren Gang,
erfüllt von Gesang,
auf der Rolltreppe, in der Warteschleife,
am leeren Empfang.
In einer schlaflosen Nacht
hat es sich selbst eingeschaltet.
Es ist immer dasselbe, wo ich auch bin.
Die Toten, die Wolken, den bunten Strauß
Melodien, die Morgengrüße
der öligen Stimmen
werde ich nicht vermissen, nur das Wissen,
daß es auch für mich eins gab:
Es war gegen die Stille,
wie auch ich, wenn ich nicht mehr bin.
Ich hab die Taschen voll Batterien,
stellt mir bitte eines hin.
ICH GEH INS GEBIRG
Geh ins Gebirg, hast du dir gesagt,
wo jeder Halm duftet
nach ihrem Hals,
an dem das Blut pulst
wie Licht. Sie hat dir eine Schweißfährte getupft,
nur für dich, hast du gedacht,
Schritt für Schritt, mit ihrem
abgeschnittenen Haar,
du hinterher: kein stalker, nur einer
von allen: blinder follower.
Ich geh ins Gebirg!, war deine Rede,
und blickst zurück in die Ebene,
das kalte Land, wo sich aneinanderreihen
die offenen Ställe
ihrer Behausungen, das Fahnenmeer
sein Vermächtnis schaukelt, mit
Schaumkronen wie
weiße Kaninchen.
Streichelt weiter ihre weichen
Felle!, brüllst du ins Tal,
der große Aufstand, ein Zwerg,
kann dich mal.
Wo die Liedlosen wohnen
und sich kinderlos vermehren,
wirfst du Steine hinab, Schlüssel von Haus
und Wagen, von wo dich ihre Schreie
nicht mehr erreichen.
Warum und was du hier suchtest?
Du weißt es nicht mehr.
Wie jener grabende Hund am Strand,
besessen von seinen Vorderpfoten,
Kopf runter, aufgestellter Schwanz,
den sie riefen und riefen und riefen:
Beethoven! Beeeeethoven!
Mit freundlicher Genehmigung des Jung und Jung Verlages
Ulrich Koch. Selbst in hoher Auflösung. Gedichte. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2017. 160 Seiten, 24 Euro – jungundjung.at
Bild: Verlag Jung und Jung