Maria Magdalena wäre eine Sünde wert
BUCHBESPRECHUNG / MODE UNTER DEM KREUZ
29/03/13 Schwer vorstellbar, dass die Gottesmutter Maria uns in Bildern anders begegnete als im hochgeschlossenen Kleid. Bei anderen biblischen Figuren ist das keineswegs so. Maria Magdalena zu Beispiel verströmt auch als Weinende unter dem Kreuz oft einen gewissen Sex Appeal.
Von Reinhard Kriechbaum
Das ist keineswegs verwunderlich – schließlich ist Maria Magdalena jene Heilige, die wie wenige andere für Reue und Umkehr steht. Ganz wegstecken wollten und konnten die Maler das Vorleben der sündigen Maria nicht, schließlich sollte per Dresscode auch eine Botschaft rüberkommen.
Der Reformator Ulrich Zwingli hatte erhebliche Bedenken gegen solche Bilder, die seiner Meinung nach vor allem der Schaulust dienten und Magdalena allzu „hürisch“ zeigten, wie er es formulierte. Schmuckwerk und Kleideraufwand waren sowieso nichts für einen strengen Reformator wie Zwingli, der darin Blüten der „Luxuria“ sah, die selbstverständlich abzulehnen seien. Drum trat er auch gegen aufwändigen Kopfputz der Frauen auf – und waren sie auch bloß Bild-Objekte. Auch der Katholik Johannes Capistran, ein franziskanisch ausgerichteter Bußprediger, hatte keinerlei Sympathien für allzu viel feminines Modebewusstsein. Aber letztlich waren sich mittelalterliche Kirchenleute in Modesachen nicht ganz einig. Für Thomas von Aquin (gestorben 1274) ging Freude an der Kleidung bei Frauen als lässige Sünde durch – solange die Dekolletés nicht gar zu tief rutschten und imstande waren, Begierde zu wecken.
„Kleiderkommunikation im christlichen Kult“ ist vielleicht ein gar sperriger Untertitel für eine anregende Untersuchung der Wiener Kunsthistorikerin und Kleidungs-Spezialistin Silke Geppert. Da ist der Buchtitel selbst – „Mode unter dem Kreuz“ – schon entschieden pfiffiger gelungen. Allemal aufschlussreich, wenn Künstler sich verabschiedet haben von den eingebürgerten Stereotypen der Heiligen-Gewandung und in ihre Bildwerke das aufnahmen, was sie in den aufblühenden urbanen Zentren Italiens oder Flanderns tagtäglich sahen. Die Szenen rund um die Passion von Roger van der Weyden sind wahre Fundgruben für die Autorin. “Nie zuvor wurden die heilige Maria Magdalena oder Josef von Arimathia unter dem Kreuz so extravagant modisch ins Zentrum des dramatischen Mitleidens gerückt“, schickt Silke Geppert ihren Betrachtungen voraus.
Die Kirche traf mit ihren Vorbehalten gegen die Mode oder gar mit Verboten durchaus auf Widerstand. Schließlich lebten Städte wie Florenz, Siena oder Brügge vom Handel, und da war die Textil-Sparte extrem stark. Die zunehmend selbstbewussten Bürger, die auch als Mäzene in Erscheinung traten und sich als Auftraggeber für kirchliche Kunst profilierten, hatten großes Interesse, sich und ihre Lebenswelt in den Kunstwerken wiederzufinden. Das ist ein Aspekt. Ein anderer: Über die dargestellte Kleidung haben die Künstler ihrerseits Botschaften übermittelt: „Verstößt das Gewand gegen Gesetze, wie etwa Kleiderordnungen, lässt sich damit Sünde illustrieren“, so die Autorin.
Haut rund um den Hals zu zeigen, hat man sich im Lauf des 14. Jahrhunderts erstmals getraut. Zum hochgeschlossenen blauen Kleid der Gottesmutter, die in einer Kreuzigungsszene ohnmächtig in die Arme Johannes des Täufers sinkt, ist Maria Magdalena mit ihrem deutlichen Halsausschnitt ein denkbar großer Kontrast. Während andere im Mantel dastehen, ist sie oft im leichten Kleid zu sehen. In einer Kreuzabnahme eines anonymen Meisters (um 1510, im Louvre), fasst sie sich gar mit einer behandschuhten Hand an den Busen. Deutlicher kann man nicht auf körperliche Attraktivität verweisen. In diesem Bild ist Maria Magdalena im übrigen ein Modepüppchen sondergleichen.
„Nachfolge und Entwicklungen“ – im kursorischen letzten Kapitel macht Silke Geppert deutlich, dass es noch viel zu tun gäbe im weiten Feld zwischen Kunstgeschichte und Kostümkunde. Bei Tizian kommt uns Maria Magdalena unangezogen doppelt anziehend entgegen und manche Kurtisane ist Frankreich des 19. Jahrhunderts zum „heiligen“ Künstlermodell geworden.