Vor dem Vergessen, das lang sein wird
BUCHBESPRECHUNG / ANALIS / PRÄLUDIUM ZUR NEUEN KÄLTE DER WELT
22/11/12 Der griechische Dichter und Diplomat Dimitri T. Analis hat seine letzten 16 Gedichte auf Französisch geschrieben. Jedes Einzelne ein Drama, ein Epos – oder eine Geschichtsdokumentation von opulenter Farbigkeit und erschreckender Klarheit. Peter Handke hat übersetzt.
Von Heidemarie Klabacher
Und die Menge. Ausgestreckte Arme, versteift in
Einer längst vergessenen Ordnung. Lodernde Fackeln
Bringen einen lachhaften Garten zum Blühen, wo sich
Abgestandene Pfützen trüben. Hier kommt die Geschichte
Von weither und geht über in Geheul.
Sie mimt Stillgestanden. Gerührt, gebiert sie
Bleiche Kadaver in den lautlosen Laboratorien der
so unnützen wie erzwungenen Arbeit.
...
Das ist eines der Gedichte von Dimitri T. Analis, die geradezu konkret eine historische Situation zu schildern scheinen. Doch Krieg, Leid, Schmerz sind Themen in fast allen der insgesamt sechzehn Gedichte, die in dem Band „Präludium zur neuen Kälte der Welt“ versammelt sind.
Welcher Krieg, in welchem Land auch immer: „Stadt und Landleute werden bald die Uniformen/Der organisierten Mörder tragen“. Der alte Mann in der Mühle träumte zwar „von griechischen Inseln, von Brot und Wein/Aber er wusste: Keine Nacht würde es schaffen/Die sich ankündigenden Massaker zu vertuschen“.
Die Politik – wiederum gleich welcher Zeit – kommt auch nicht gut weg, „Die Gewitter von einst, schon alte Erinnerungen“:
...
Und allerwärts werden beschwichtigende
Reden und der schneidende Stahl es treiben im Namen
Des Guten, der Freiheit und des Erbarmens.
Nicht mit Verbitterung, sondern mit Wehmut und Trauer reagierte der Anfang dieses Jahres in Athen verstorbene Dichter Dimitri T. Analis auf Leid, Unrecht und Schmerz, die Menschen den Menschen zufügen. Die Farbe, die Sonne über grünen Hügeln ließ er sich dennoch nicht verdunkeln. Wehmut und Hoffnung scheinen in vielen Gedichten eine prekäre Balance zu halten. Immer weitab von Kitsch. Zugleich eignet seinen knappen Landschaftschilderungen oft eine Intensität, wie sie ein Handke oder ein Stifter auch nicht eindrücklicher hinkriegen.
...
Die Zeit verlässt die Wohnbauten und ruht sich aus in
Den entlegenen Häusern derer, die mit ihren bloßen Händen
Die Erde der Äcker bearbeiten.
Dimitri T. Analis ist Anfang dieses Jahres verstorben. Wie auch der Künstler und Illustrator Walter Pichler, der zahllose Bücher des früheren Residenz Verlages und des Jung und Jung Verlages illustriert hat: Er hat in seiner letzten Arbeit zu jedem Analis-Gedicht einen gezeichneten Gedanken gefunden.