Endstation Sehnsucht
BUCHBESPRECHUNG / FREISAAL
18/05/12 Food-Fotografen sprühen so einen Lack über die Gerichte, wegen der Appetitlichkeit. Ähnlich wirkt die Dachlandschaft von Schloss Freisaal. Aber das wurde wohl mit dem Bundesdenkmalamt abgesprochen (Marmorböden in Kirchen schauen heutzutage nach der Renovierung auch gern so aus) – und ändert nichts daran: Freisaal ist ein Sehnsuchtsort aus dem Märchenbuch.
Von Heidemarie Klabacher
Ein großformatiger Bildband aus dem Verlag Anton Pustet spürt dem Geheimnis des Wasserschlosses nach: In allen wissenschaftlichen Facetten der Bau- Kunst- Musik- Sozial- und Zerstörungsgeschichte. Dazu kommen Bilder von Stefan Zenzmaier, die das Herz eines jeden Salzburg-Enthusiasten höher schlagen lassen. Zenhmaier hat fotografiert, was auch der Spaziergänger einigermaßen einsehen kann: das Schloss und seine Umgebung. Die jeweils ganz- oder doppelseitigen Bilder sind mit einer Zurückhaltung und Intensität gleichzeitig aufgenommen, die atemberaubend sind. Bilder zum Hineingehen und drin verschwinden wollen sind das.
Zahllose weitere Abbildungen unterstützen die einzelnen wissenschaftlichen Beiträge: Pläne und Skizzen der einzelnen Bauphasen über die Jahrhunderte geben einen Eindruck von der Entstehung des Bauwerks. (Das Buch gehört in die Reihe der Salzburge Beiträge zur Kunst und Denkmalpflege.) Eine vollständige Dokumentation der Fresken im Freskensaal liegt in technisch modernsten brillanten Bildfolgen vor. Die Lage des Schlosses in seiner sich verändernden Umgebung ist auf Landkarten oder Planskizzen quer durch die Jahrhunderte festgehalten. Selbstverständlich entdeckt man den entsprechenden Ausschnitt aus dem Sattler-Panorama mit den exerzierenden Soldaten im Feld (ungefähr dort, wo heute der Garten der NaWi ist) und Spaziergängern auf dem Weg. Die zum Bleichen aufgelegten Leinwände sind ganz vorne im rechten Eck…
Mit dem Jahr 1350 beginnt gleich daneben die Zeittafel zum Schloss und ihren Besitzern. Geschichte und Funktion des Schlosses werden ebenso in einem eigenen Aufsatz abgehandelt, wie seine Bedeutung als Landwirtschaftliche Besitzung mit Karpfenteich und Kuchlgarten. Ein eigenes Kapitel gilt Freisaal und der Musikgeschichte. Immerhin könnte es sein dass der Mönch von Salzburg Schloss Freisaal zum ersten Mal erwähnt. Es könnte aber auch nur sein, dass ganz wer anderer ein ganz anderes Lied schreibt und von einer Frau in einem „Freudensaal“ in einem ganz anderen Schloss erzählt. „Dass sich eine Frau länger als notwendig in der damals sumpfigen und daher ungesunden Gegend um Freisaal hätte aufhalten sollen, ist kaum anzunehmen“, schreibt Stefan Engels in seinem Beitrag. Handfester ist natürlich die Analyse der Fresken unter musikalischem Blickwinkel, unter dem man etwa Trompeter und Paukisten sowie die Sängergruppe einfach beschreiben kann.
Dem Festszugsfresko, seiner Restaurierungsgeschichte oder seinem allegorischen Programm, gilt natürlich größter Raum. Besonders diskutiert wird von Erwin Pokorny auch die Frage des Künstlers. Es scheint nach wie vor vieles dafür zu sprechen, dass die Freisaaler Fresken dem Salzburger Maler Hans Bocksberger dem Ältern und seiner Werkstatt zu verdanken sind.
Am spannendseten und erschütterndsten für den Salzburger ist im Kapitel "Von der Turmburg zum Landschloss. Die Baugeschichte des Schlosses" natürlich der Abschnitt über die Baugeschichte im 20. Jahrhundert ab Seite 47: Das Schloss war und ist natürlich immer auch ein Wohnhaus. Peter Handke hat im Jänner 1985 dort über elf Tage im Freskensaal einen Film (Das Mal des Todes) gedreht. Er war mit einer der im Schloss zur Miete wohnenden Familien befreundet, der des Malers Lucas Suppin. Daran erinnert sich Adolf Haslinger in einem kleinen Beitrag. Ein spannendes Foto aus dem Archiv Marc Suppin zeigt den jungen Handke auf geschnitztem Sessel vor der Freskenwand. Marc Suppin, Sohn von Lucas Suppin, ist im Freskensaal zwar nicht geboren, aber immerhin getauft worden und in Freisaal aufgewachsen.
Wie konnte man in Freisaal eine Wohnung mieten? Die damaligen Besitzer (die Familie Hyra hatte das Schloss 1899 gekauft und besaß bis in die 1960er Jahre dort ein Bleiberecht) hatten einfach fünf Mietwohnungen eingerichtet. Im Jahr 1988 hat die Erbengemeinschaft das Schloss dann an "Privat" verkauft. Stadt und Land Salzburg hätten von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch gemacht, heißt es im Buch betont neutral.
Marc Suppin in seinem Beitrag: „Leider wurden wir gewaltsam aus diesem Traum gerissen, als das Schloss 1988 an einen Baumeister verkauft wurde und wir mit allen möglichen Dingen, von Schmeicheleien über Drohungen bis hin zu handfesten Maßnahmen dazu gezwungen wurden, aus dem wunderbaren Haus auszuziehen. So wurde im Dezember 1988 einfach unser Öltank im Keller herausgerissen, sodass wir nicht mehr heizen konnten. Die Angelegenheit fand zwar doch noch ein gutes Ende, das Schloss wurde aber leider nachhaltig zerstört, und ich werde wohl nicht noch einmal in meinem Leben eine so einzigartige Adresse haben.“
Und die Salzburger nie wieder ein zweites "Hellbrunn".