Lesen dort, wo Texte „dran“ sind
BUCHBESPRECHUNG / AUSWÄRTS LESEN
11/02/11 Burkhard Spinnen ist freier Autor, Juror, Publizist – er liest oft und gerne in Schulen, und er reflektiert diese Tätigkeit - und warnt vor Routine. Schulraum sei nicht nur Lernraum, mehr noch Lebensraum.
Von Christina Repolust
Kein Witzeln über grantige Schulwarte und gelangweilte Direktoren. Burkhard Spinnen will im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen – Autorinnen machen das anscheinend nicht! – über zugige Bahnsteige, schlecht vorbereitete Gastgeber und damit natürlich über sich selbst, den Herrn Dichter, schreiben. Er will den Kosmos Schule, das Panorama der Deutschstunden ernsthaft betrachten und dabei seine Rolle als Gast oder Eindringling reflektieren. “Hier bin ich der Gast! Ich bin aber auch, mal mehr, mal weniger, der Fremde, der Eindringling. Alle Räume, in denen ich lese, gehören der Schule und den Schülern.“ Spinnen betritt Klassenzimmer und fühlt dabei, dass er hier Privatsphäre verletzen könnte: „Schulraum ist ja nicht allein Lernraum, sondern mehr noch Lebensraum. Hier verbringen die Schüler die meiste Zeit ihres Tages, hier spielt sich für sie so viel Wichtiges, Trauriges und Bewegendes ab.“
Ob eine Deutschstunde eine Erweckung oder eine Schlafstunde ist, darüber urteilt der Autor nicht, wie er überhaupt mehr das Fragen als das Deuten und Messen zu seiner Sache und zum Hauptgegenstand seines Buches erklärt. „Wenn ich in der Schule lese, begebe ich mich in eine Art literarische Ur-Szene. Indem ich Kindern und jungen Menschen vorlese, belebe ich eine ursprüngliche Form der Vermittlung von Fiktionen. Anders als im Literaturhaus kann hier der alte Zauber des reinen Erzählens wieder wirken, denn viele meiner Zuhörer begreifen die Lesung noch gar nicht als Ritual der Hochkultur und setzen sich dem Gehörten vollkommen aus.“
Wer nach allen PISA-Debatten und -Rechtfertigungen noch genügend Lebens-, Lehr- und Vermittlungsfreude in sich fühlt, vielleicht nur noch ganz wenig, könnte seinen/ihren Puls beim folgenden Zitat wieder in die Höhe treiben: „Die Schullesung findet am wichtigsten Lebensort der literarischen Kultur statt. Schüler begegnen etwas, das sie als Talisman bei sich tragen könnten - eine Ahnung , eine Vorstellung davon, wozu man existiert oder wie es aussehe könnte, wenn einem etwas wirklich Wichtiges gelingt. Zum Beispiel das Glücklichsein.“
Ein ernsthaftes Buch eines ernsthaften Schriftstellers über eine ebenso ernsthafte Angelegenheit, das Organisieren von Lesungen in Schulen. „Wer bei etwas, das er für Kinder macht, nur Routine walten lässt, der vergisst seine Aufgabe, und er vergisst sich damit selbst.“