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Textilien Tampons Traktoren

BUCHBESPRECHUNG / GRILLMAYER / THAT'S LIFE IN DYSTOPIA

21/10/24 Die Zivilisation ist ausgelöscht. Fast jedenfalls. Vereinzelte Menschengruppen haben überlebt und versuchen, sich in ihrem postapokalyptischen Leben einzurichten. Die Welt in Johanna Grillmayers Roman That’s life in Dystopia ist ebenso hart wie die Sprache, die sie für ihre klaustrophobische Geschichte wählt.

Von Christina König

Alle nennen es nur „das Ereignis“ oder „die Auslöschung“. Niemand weiß, was passiert ist. Auf einem Sommerfest im Juli 2019 lösen sich plötzlich die Menschen in Luft auf. „Nichts von ihnen blieb übrig, nicht der kleinste Rückstand in der Luft oder auf dem Boden.“ Jola und eine kleine Menschengruppe retten sich in einen Weinkeller, bleiben von der Katastrophe verschont. Als sie sich wieder hervorwagen, ist alles ruhig. Niemand ist zu sehen.

Johanna Grillmayers Roman beginnt sieben Jahre später mit einer versuchten Vergewaltigung und einem Mord per Jagdgewehr. Die neue Welt ist hart: Jola, sieben andere Überlebende und ihre gemeinsamen sechs Kinder haben sich in einem ehemaligen Hotel eingerichtet, plündern verlassene Supermärkte, schießen Rehe, bringen sich Gärtnerei und Landwirtschaft bei. Ihr neues Zuhause wird notfalls mit Gewalt vor anderen Überlebenden verteidigt. Ressourcen werden knapp, technische Geräte gehen kaputt, nicht alle können repariert werden. Die Überreste der Zivilisation werden überwuchert wie die Straßen, die kaum noch passierbar sind. Niemand weiß, wie es weitergeht.

So hart wie der Romaneinstieg ist auch Grillmayers Sprache. Nüchtern und unterkühlt, kommt die Geschichte ohne auch nur ein einziges unnötiges Wort aus, ohne schmückende Adjektive, komplizierte Satzstrukturen oder poetische Bilder. Vereinzelte Vergleiche sind düster: Wolken sind bei Grillmayer wie „geballte Fäuste“ oder eine „Flotte von Schlachtschiffen“. Meistens sind sie aber einfach Wolken. In einer Welt, die aufs Überleben ausgerichtet ist und wenig Platz lässt für Gefühlsduselei, spiegelt Grillmayers Schreibstil diese Sachlichkeit perfekt. Geschehnisse werden erzählt, wie sie sind, die wichtigsten Überlegungen der Charaktere sparsam geschildert, auf tiefere Eindrücke in ihre Gefühlswelt wird meist verzichtet. Verzichtet wird auch auf alle nicht unbedingt nötigen Satzzeichen – Anführungszeichen spart Grillmayer aus, oft auch Absätze, die die direkte Rede der Charaktere voneinander trennen würden. Das macht es manchmal schwierig, den Dialogen zu folgen, aber auch das passt zur Geschichte. Ein anderer Schreibstil würde die Apokalypse zu pathetisch machen.

Reine Schwarzmalerei ist Grillmayers Roman natürlich nicht. Mit klarem Blick für die Notwendigkeiten eines Lebens nach der „Auslöschung“ stellt sie ihren Charakteren die praktischen Fragen: Wie gewinnen wir Energie? Was brauchen wir, um Solarpaneele zu reparieren? Welche Pflanzen kultivieren wir weiter? Wie kompensieren wir den zukünftigen Mangel an Dingen, die uns selbstverständlich sind, von Textilien über Tampons bis zu Traktoren? Und wie ist es mit Religion, Schulbildung, Menschenrechten und Demokratie als Grundpfeiler einer wie auch immer gearteten Gesellschaft? Geschickt verändert Grillmayer die Perspektive ihrer Leser auf die eigene Zivilisation: Was von all den Dingen, mit denen wir umgeben sind, brauchen wir wirklich? Was würde schmerzlich fehlen?

Besonders spannend ist das komplexe Sozial- und Beziehungsgeflecht, das Grillmayer entwirft: Jola und Ali sind die einzigen Frauen in ihrer achtköpfigen Gruppe. Am Anfang des Romans wirkt ihr Leben wie das einer Kommune: Die Frauen haben sich die Männer halbwegs unter sich aufgeteilt, es gibt Überschneidungen, jede hat Kinder von mehr als einem Vater. Die Männer auseinanderzuhalten, fällt anfangs schwer. Erst nach und nach wird in Rückblenden aufgerollt, was zwischen dem „Ereignis“ und der Gegenwart passiert, wie es zu den romantischen Konstellationen gekommen ist. Klug, unaufgeregt und völlig frei von Seifenoper-Aspekten zeichnet Grillmayer die Probleme nach, die das mit sich zieht: Fragen nach den „Regeln für Sex“, wer mit wem wie oft schläft, nach den „Bedingungen“, nach Eifersucht, Gleichberechtigung, Exklusivität bzw. dem Mangel an Exklusivität. Und dann öffnet sich die Gruppe langsam: Der Kontakt zu weiteren Überlebenden wird intensiver, neue Kooperationen und Freundschaften werden geschlossen – mit allen Vor- und Nachteilen …

That’s life in Dystopia ist ein spannender Roman, der auch ohne Handlungsnebenstränge oder ein ausuferndes Personenverzeichnis genug zu bieten hat. Angekündigt sind zwei Fortsetzungen – dass noch einiges in der Geschichte steckt, kann man nicht bezweifeln.

Johanna Grillmayer: That’s life in Dystopia. Roman. Müry Salzmann Verlag, Salzburg, 2024. 432 Seiten, 28 Euro – www.muerysalzmann.com

 

 

 

 

 

 

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