Achterbahn in der Zeitschleife
ESSAY / DAS MOZARTEUM 1922–1953
21/11/22 „Am Abend des 12. März wurde der Salzburger Gauleiter Anton Wintersteiger zum Landeshauptmann ernannt, am 13. März der offizielle Anschluss Österreichs an Deutschland verkündet – nur einen Tag später wurde Paumgartner vom neuen Landesschulrat Karl Springenschmid mit sofortiger Wirksamkeit seiner Funktion als Direktor des Mozarteums enthoben.“
Von Heidemarie Klabacher
Die ersten acht Jahrzehnte (!) von 1841 bis 1922 beleuchtete der erste Band Von der Musikschule zum Konservatorium. Nun liegt der zweite Band der Geschichte der Universität Mozarteum druckfrisch in den Buchhandlungen. Der Weg Vom Konservatorium zur Akademie 1922 bis 1953 umfasst auch die „heiklen“ Jahre der NS-Zeit. Zentrale Kapitel gelten der weltlichen Salzburger Musikkultur, dem Mozarteum und der Politik, den Strukturen der Ausbildungsstätte, den Lehrenden und Studierenden im Spannungsfeld von Studienalltag, Kultur und Politik, aber auch der Geschichte der Musikpädagogik, der Bibliothek und dem „Zankapfel“ Internationale Sommerakademie.
Da die einzelnen Kapitel der verschiedenen Autorinnen und Autoren den jeweils gleichen Zeitrahmen in jeweils „thematischen Längschnitten“ abhandeln, entwickelt sich gelegentlich das Gefühl, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. Dennoch ist es, bei aller fußnoten-gespickten Mühe der Lektüre, durchaus spannend, die besagten Jahre aus den jeweiligen Blickwinklen jeweils neu und speziell beleuchtet zu sehen. „Naturgemäß“ fortlaufend chronologisch behandelt werden die „Direktoren“ dieser Jahrzehnte. Aus der Überfülle an Namen sei der Bernhard Paumgartners herausgepickt (erst jüngst feierte die von ihm gegründete heutige Camerata Salzburg ihren Siebziger, das ist natürlich Thema im Buch).
Paumgartner hielt am 12. Oktober 1934 im Rahmen einer verspäteten Gedenkfeier eine Ansprache zur Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (am 25. Juli waren Ferien, Studienbeginn am damligen Konservatorium war am 25. September). Paumgartners Rede ist überliefert, sie sei „jener Beitrag in den Jahresberichten von 1922 bis 1938, der am deutlichsten Bezug auf aktuelle politische Ereignisse nahm“, schreibt Johannes Hofinger im Kapitel Verstaatlichung – Verreichlichung – Verbundlichung. Das Mozarteum und die Politik. „Dabei blieb Paumgartner in seinen Worten auf einer abstrakten, christlich-katholischen, metaphysisch-philosophischen Ebene, die um die Österreich-Idee kreiste und in der der Name des Ermordenten nur ein einziges Mal genannt wurde“, so Hofinger über den Stil Paumgartners: „Wie verblendet ist der Geist ruchloser Mörder, die meinen, mit der irdischen Erscheinung eines Großen auch seine Idee hinwegfegen zu können...“
Interessant, dass auch damals schon „intrigiert“ wurde. Die politische Situation der Vorkriegs- und NS-Zeit verschärfte freilich selbst ein banales Gagen-Hick-Hack: „Nach der Enthebung Paumgartners unmttelbar nach dem Anschluss kritisierte die überwiegende Mehrheit der ordentlichen Lehrenden in einem Brief an den NS-Landesschulrat in systemkonformen Worten: 'Anstatt für die Forderungen der Gegenwart Fundament, Gefolgschaft und Kameradschaft zu erarbeiten, war Paumgarnter nur für sein Ich bedacht, alles zusammenraffend, was sich ihm außerhalb der Schule an Vorteilhaftem bot'.“ Die NS-Sympatisanten sollten bald Oberwasser bekommen. Doch schon anno 1920 sei gefordert worden, dass für eine zu besetztende Stelle „kein Nichtarier herangezogen“ werde. Paumgartner schrieb, so Hofinger, dann in den 1960er-Jahren in seinen Erinnerungen, dass er „im Gegensatzu zu den meisten Personen meines Lehrkörpers im Institut, der 'Partei' nicht als 'illegales Mitglied' angöhrt hatte“. Das scheinen nicht wenige gewesen zu sein. NS-Krimi im Musentempel – freilich im nüchtern-wissenschaftlichen Stil berichtet, akribisch detailliert. Umso mehr schaudern macht der Prozess der „Eindeutschung“ und „Arisierung“ auch des Mozarteums. Von den Festspielen weiß man das genauer.
Zurück zu Paumgartner. Auch im Kapitel Ausbildungsstätte Mozarteum. Strukturen und Wirkungsfelder 1922–1953 von Sarah Haslinger und Susanne Prucher findet sich dieser zentrale personelle Faden: „Die Tatsache, dass Direktor Bernhard Paumgartner bereits zwei Tage nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland seines Amtes enthoben worden war, wird im Jahresbericht des Konservatoriums lediglich mit einer vierzeiligen Meldung innerhalb des allgemeinen personalberichts der Direktion vermerkt.“ Noch im selben Kapitel wird Paumgartner mit 4. Oktober 1945 die Genugtuung zuteil, erneut mit der Leitung der nunmehrigen Musikhochschule Mozarteum betraut zu werden. In das Kapitel von Haslinger/Prucher fällt auch die genaue Darstellung der politischen Voraussetzungen der Erhebung des Mozarteums zur Akademie.
Etwas weniger im Stil akribisch in Text verwandelter Fußnoten (wobei deren genug übrig bleiben) kommt dann das biographische Kapitel von Sarah Haslinger daher: Bernhard Paumgartner – absolutistischer „Principe“, eifriger Initiator und triumphierender Erneuerer. Daraus ist auch das Zitat im Vorspann. Wieder wird die geglückte Erhebung und Verstaatlichung der vormaligen Musikschule reflektiert (Zeitschleife). Wieder geht’s um Geld-Gezank. Paumgartner scheint wirtschaftlich tüchtig, aber nicht restlos beliebt gewesen zu sein. Die Verfasserin des Kapitels, Sarah Haslinger, schreibt und zitiert: „Richard Strauss schrieb etwa an den Dirigenten Franz Schalk ... dass er keine Lust habe, den Protektor für den Kunstschwindel des Herrn Paumgartner abzugeben, weil dieser Veranstaltungen des Mozarteums mit jenen der Festspielhausgemeinde zusammen auf Plakate und in Zeitungen abdrucken ließ.“ Nicht „lustvoll formuliert“ aber präzise referiert wird auch hier die schrullige Causa der von Paumgartner erhobenen Anklage wegen Ehrenbeleidigung gegen die Mitglieder des Stadttheaters... Auch hier wieder die NS-Zeit und die Enthebung vom Direktorenposten, gegen die Paumgartner vergeblich protestierte... Und auch wieder unvermeidlich, der unsägliche Name des „Landesschulrates“ Karl Springenschmid (Genau, der von der Salzburger Bücherverbrennung). Die Absetzung freilich war für Paumgartner „ein Glück“, denn so war er nicht „belastet“ und konnte wieder kommen, wenngleich es wieder und weiter Gerüchte gab, er paktiere mit NS-Anhängern im Lehrkörper). Spektakulär jedenfalls berichtet Paumgartner, wie im Juli 1945, als er gerade in der Schweiz einen Kurs hielt, ein Jeep der amerikanischen Armee gekommen war, um ihn nach Salzburg zu bringen...
Eine Fundgrube von Tiefe.
Julia Hinterberger (Hg.): Vom Konservatorium zur Akademie. Das Mozarteum 1922–1953. Geschichte der Universität Mozarteum Salzburg 2. Hollitzer Verlag, Wien 2022. 553 Seiten, 45 Euro – www.hollitzer.at
Buchpräsentation umrahmt mit Werken ehemaliger Mozarteumsdirektoren ist heute Montag (21.11.) um 17 Uhr im Wiener Saal - www.uni-mozarteum.at
Bilder: Cover; Archiv der Salzburger Festspiele / Ellinger (1); Universität Mozarteum