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In Sorge um Europa

BUCHBESPRECHUNG / TURKOVIC / LEBENSKLÄNGE

23/12/19 „Da in der übrigen Welt noch die Sitte besteht, Weihnachten zu feiern, wünsche ich Dir und Deinem Sohn recht schöne und fröhliche Feiertage. Es sind Verbote erlassen worden, wonach es auf das Allerstrengste verboten ist, Weihnachten zu feiern.“

Von Heidemarie Klabacher

„Das Ausbleiben von der Arbeit oder aus dem Amte hat die sofortige Enlassung zu Folge. Falls ein Privatgeschäft geschlossen bleibt, wird der Gewerbeschein entzogen, samt hoher Geldstrafe.“ Das schrieb ein Cousin der Mutter des späteren Fagottisten Milan Turković 1952 aus Jugoslawien an seine Cousine Irmgard Overhoff-Turković in Wien. So formuliert, ergänzt der Musiker in seiner Biografie Lebensklänge, „konnte er diesen Brief relativ gefahrlos in den Postkasten werfen“.

Nicht nur der Schriftsteller und Nobelpreisträger Peter Handke ist verwurzelt in jener Weltgegend, die irgendwann im Laufe der Jahrhunderte ihrer hochkomplexten Geschichte auch einmal „Jugoslawien“ geheißen hat. Peter Handkes Mutter war eine Slowenin, sein leiblicher Vater und sein Stiefvater waren Deutsche. Die Mutter des Fagottisten war eine gebürtige Wienerin großbürgerlichen Herkommens mit Wurzeln nach Deutschland und Georgien. Sie hatte in die adelige High Socitey Zagrebs eingeheiratet und sich damit erfolgreich zwischen alle politischen Stühle gesetzt: „Irmgard Overhoff-Turković war eine Schmugglerin, eine feindliche Agentin gegen den jugoslawischen Staat, eine Kollaborateurin mit der Ustascha und dem Deutschen Reich.“

Die einen zählten sie unter die „Mitläufer“, schreibt Milan Turković im Eröffnungskapitel Meine Mutter Courage, weil die ausgebildete Sängerin „während des faschistischen Ustascha-Regimes und der Anwesenheit von Vertretern des 'Reiches' einen Abend lang, das Lied mitspielte, oder mitsang, in welches damals viele Künstler einstimmten. Sie alle taten das, um überhaupt auftreten zu dürfen, also um berufstätig zu sein“. Die anderen haben sie verhaftet und eingesperrt, weil sie „Nazi-Lieder“ singen wollte: Lieder von Schumann, Schubert und Brahms in einem Liederabend im Zagreber Konservatorium. 1948 konnten Irmgard Overhoff-Turković und ihr neunjähriger Sohn Milan mit einigen Mühen aus Jugoslawien ausreisen und sogar ein paar Möbel mitnehmen...

Spannend und anschaulich schildert Milan Turković das gesellschaftliche Fußfassen in Österreich unter namhaften Künstlerinnen und Künstlern, zu denen auch prominente „Lebensmenschen“ seiner Mutter gehörten. Zugleich freilich verblassten ihre Karrierehoffnugen. Rückblenden führen zurück in das Zagreb des Jahres 1938, wohin die Musikstudentin (Yehudi Menuhin war einer ihrer Kommilitonen), die die Geige für den Gesang an den Nagel gehängt hatte, ihrem Ehemann Fedor Turković folgen sollte. Dieser Vater, „Großgrundbesitzer, Jäger und Fahrer eleganter Limusinen“ hatte in Oxford und Wien studiert, litt unter der Bevormundung durch den älteren Bruder, eines namhaften Weinbauern, und geriet als völlig upolitscher Mensch zwischen die Fronten von Faschisten und Kommunisten. Fedor Turković hat sich 1944 im Alter von fünfzig Jahren erschossen.

Dieses Buch ist weit mehr als eine Musiker-Biographie. Die vielschichtig zwischen den rivalisierenden menschenverachtenden Ideologien aufgespannte „Vorgeschichte“ lässt ein Stück gar nicht ferner Vergangenheit überaus plastisch erstehen. Man kann gar nicht genug bekommen von der anschaulichen Schilderung der komplexen historischen Ereigisse, aber auch von den großen Namen, die die Kindheit des Autors prägten. Er betont, sich dessen „bewusst zu sein, dass alle genannten Namen nur Angehörigen der älteren Generation oder Musikliebhabern viel sagen“: „Sie alle gehörten zu jenen, die das Kultuleben der Aufbaujahre Wiens möglich machten und es prägten.“ All das ist spannend und bewegend – besonders auch, weil Turković ohne stilistische Schnörkel erzählt. Nie schleicht sich ein Tante Jolesch- oder Welt von Gestern-Tonfall ein. Turković nennt sich selber im Buch „bloß einen Berichterstatter“.

Den Übergang zu seiner eigenen Vita gestaltet der Fagottist, Pädagoge und Dirigent mit der formalen Delikatesse eines Komponisten: Noch bevor er in der Kadettenschule – als Außenseiter im Internat in Graz-Liebenau – anfängt, bringt Turković einge ganz und gar nicht banale Gedanken zu seiner Heimat Europa zur Sprache. Schneller als man meint, ist Turković auf seinem Karriereweg auch schon Mitglied der Wiener Symphoniker oder ist das Ensemble Wien-Berlin gegründet.

Oder Ingrid kennengelernt: Mehr Erschütterung beinah als die Kriegs-Geschichten löst eine lapidar hingeschriebene Bemerkung Turkovićs rund um seinen Bericht über die Hochzeit mit der berühmten Eiskunstläuferin und Sport-Kommentatorin aus: „Immerhin gab es Anrufe, deren Inhalt nicht der Wiedergabe würdig ist. Auch wurde Ingrid gefragt, ob sie denn nicht 'einen deutschen Mann' hätte finden können.“ Als „nett gemeint“ interpretiert Turković die Zusendung eines kroatischen Wörterbuchs: „Ja sicher, wie soll den jemand Fremder wissen, das man auch mit meinem Namen die österreichische Standardsprache beherrschen könnte.“

Nikolaus Harnoncourt zieht sich über ein Viertljahrhundert quasi leitmotivisch durch die Vita Turkovićs. Nachdem Harnoncourt 2015 seinen Abschied von Podium bekannt gegeben hatte, ist niemand auf die Idee gekommen, den „Fagottisten“ im kurzen Interregnum, wenigstens als Einspringer, ans Dirigentenpult des Conentus Musicus zu bitten. Ohne Scheu gesteht Turković da sein „kurzzeitiges Gekränktsein“. So wenig eitel kann nur ein Großer sein.

Die Sorge um ein Europa spricht bewegend aus den den letzten Kapiteln eines Buches, das eine informative Künstler-Biografie ebenso ist, wie ein klug und beachtsam mahnender Kommentar zur Zeitgeschichte: „Zu alledem findet eine widerliche Aufrüstung der destruktiven und gehässigen Sprache in Politik und Gesellschaft statt. ... Und die Wendung Europas nach rechts ist für einen, der die Befreiung von 'rechts' als Erlösung erleben durfte, kaum zu verkraften.“

Milan Turković: Lebensklänge. Eine Erinnerung. Ibera Verlag, Wien 2019. 248 Seiten, 22 Euro - www.ibera.at

 

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