Zeichnungen als Spiegel der Seele
HINTERGRUND / PSYCHIATRIE / KUNST
03/10/18 „Art brut“ ist das Fachwort für Kunst von Psychiatriepatienten. Deren besondere Kreativität hat sich nicht nur in Gugging nahe Klosterneuburg gezeigt, wo es ein eigenes Museum dafür gibt. Auch in Salzburg hat man dem kreativen Schaffens in der Landesheilanstalt von 1849 bis 1969 nachgeforscht.
„...Trotl bin ich nicht“ heißt das Buch, das vor wenigen Tagen im Salzburger Landesarchiv vorgestellt wurde. Mehr als drei Jahre war die Kunsthistorikerin Elisabeth Telsnig damit beschäftigt, die im Salzburger Landesarchiv lagernden Akten aus der ehemaligen Landesheilanstalt, der heutigen Christian-Doppler-Klinik Salzburg (CDK) – Universitätsklinikum der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, aufzuarbeiten. Nicht weniger als 27.800 historische Patientenakten hat sie im Landesarchiv durchgesehen. Die Publikation enthält auch moderne medizinische Diagnosen der einzelnen Fälle.
In 153 der insgesamt fanden sich persönliche Schriftstücke und Zeichnungen. Beispiele von 53 Patientinnen und Patienten aus insgesamt 120 Jahren wurden dann für das Buch ausgewählt. „Sie geben einen eindrucksvollen Überblick über das kreative Schaffen dieser Menschen“, sagt Elisabeth Telsnig.
Landesarchiv-Direktor Oskar Dohle und die Archivarexpertin Ulrike Feistmantl standen beratend zur Seite, um die ausführliche kunsthistorische Analyse in den jeweiligen zeitlichen Kontext zu stellen. So spiegeln sich der erste Weltkrieg und die teilweise traumatischen Erlebnisse an den Fronten in einigen der Kunstwerke. Auch die NS-Zeit hat in den Krankengeschichten starke Spuren hinterlassen.
Drei Primarärzte der CDK, nämlich die beiden Psychiater Wolfgang Aichhorn (Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik) und Leonhard Thun-Hohenstein (Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie) sowie der Neurologe Eugen Trinka (Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie) versuchten eine ergänzende Analyse der zeitgenössischen Diagnosen mit den Mitteln der modernen Diagnostik und erweitern somit das Buch um einen medizingeschichtlichen Aspekt.
„Kreativität ist für jeden Menschen Teil der Möglichkeiten, seiner Persönlichkeit und Individualität Ausdruck zu verleihen. Dies gilt nicht nur für berühmte Künstlerinnen und Künstler in ihren Sparten, von der Musik bis zur bildenden Kunst, sondern in besonderer Weise auch für jene, die auf Grund psychischer Krankheiten oder Auffälligkeiten jahrhundertelang ausgegrenzt, 'weggesperrt' und während der Jahre des nationalsozialistischen Unrechtsregimes sogar ermordet wurden“, erklären die Herausgeber – Oskar Dohle, Ulrike Feistmantl und Elisabeth Telsnig – im Vorwort. Diese historische Aufarbeitung solle dazu beitragen, die Kunstwerke dieser Personengruppe als etwas „ganz Normales“, ganz Menschliches, zu sehen. Man hoffe, dass die individuelle Kreativität wahrgenommen und „nicht nur wegen des medizinisch-pathologischen Hintergrundes interessieren“ werde.
„Das Buch soll dazu beitragen, die bis heute trotz aller Änderungen im gesellschaftlichen Umgang in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch zu beobachtende Stigmatisierung von psychiatrischen Patientinnen und Patienten ein Stück weiter zu durchbrechen“, so die Herausgeber. (Landesarchiv/dpk-krie)