Eine Fahrt ins Innerste des Menschen
BUCHBESPRECHUNG / HENNIG VON LANGE / HIER BEGINNT DER WALD
12/06/18 „Eigentlich fahre ich ja nur, damit ich fahren kann, damit ich von dir wegkomme.“ – Eine Fahrt, die vor allem eine Flucht ist; eine Flucht vor der Freundin, einem ungewollten Kind, dem Gefühl der Überforderung, vor dem Leben überhaupt.
VON VERENA RESCH
Ein Mann – seinen Namen erfahren wir bis zum Ende des Romans nicht – sitzt in einem LKW. Im Laderaum Umzugsmöbel von fremden Menschen, die es an ihr Ziel zu bringen gilt. Angenommen hat er diesen Auftrag nur, um vor seiner schwangeren Freundin fliehen zu können. Dieses Kind ist unerwünscht, überhaupt war es allein ihre Idee, eines zu bekommen. „Er will dieses Kind nicht und will sich selbst nicht wiedererkennen in ihm. Und ich will auch dich darin nicht wiedererkennen, denn dich sehe ich sowieso die ganze Zeit vor mir, denkt er. Ich brauche niemanden, der mich an dich erinnert.“
Wie in ihren ersten beiden Romanen führt die Rauris-Preisträgerin von 2014 auch in Hier beginnt der Wald einen einsamen, isolierten Protagonisten vor. Ein Großteil der Handlung spielt sich gewissermaßen im Kopf des Protagonisten ab, die Autorin versetzt sich in seine Lage und entwickelt das Geschehen aus dessen Perspektive. Dazwischen werden immer wieder Erinnerungsfetzen aus der Kindheit eingestreut, in denen immer wieder die übermächtige Mutter auftaucht, ebenso wie Reflexionen über das eigene Denken, die eine gewisse Distanz zum Geschehen, aber auch zu sich selbst, entstehen lassen: „Als wäre ich nicht mehr nur ich, als wäre ich nicht mehr allein, denkt er. Als wäre ich plötzlich zwei: einer, der tanzt, und einer, der mir dabei zuschaut, der das etwas seltsam findet.“
Der ursprüngliche Plan, die Umzugssachen an ihren Bestimmungsort zu bringen, gerät bald in Vergessenheit. Als während der nächtlichen Fahrt auf der regennassen Straße schließlich ein Unfall mit einem Tier passiert, driften Realität und Wahrnehmungen des Mannes immer stärker auseinander. Parallel dazu macht sich beim Leser eine immer größere Unsicherheit breit, da zunehmend unklarer wird, ob sich die Ereignisse tatsächlich abspielen oder nur im Kopf des Protagonisten ereignen: „Hat es das überhaupt je gegeben, hat er sich das nicht nur ausgedacht, das Leben mit ihr? So wie das Tier. Denn dass da kein Tier war, dass es nur in seinem Kopf war, da ist er sich mittlerweile sicher.“
In einem Wald lässt er sich zu einem Unternehmen hinreißen, das von außen betrachtet wahnwitzig erscheint, das allerdings auch für Momente zwischenmenschlicher Nähe sorgt, die im Leben des Mannes wohl eher rar gesät sind. Diese Momente (sind sie überhaupt real?) werden jedoch durch die hereinbrechende Außenwelt bedroht… Obwohl Saskia Hennig von Lange bis zum Ende des Romans, der von schlichtem Stil und klarer Sprache geprägt ist, Vieles im Unklaren belässt, gelingt es ihr, den Leser in den Bann zu ziehen. Sie schafft eine Atmosphäre, die Verlorenheit, Isolation und Wahn des Protagonisten intensiv spürbar macht.
Saskia Hennig von Lange: Hier beginnt der Wald. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2018. 152 Seiten, 18 Euro. Auch als e-book erhältlich – www.jungundjung.at