asdf
 

Ich jäte nur, was ich säte

GEORG TRAKL PREIS / BUCHBESPRECHUNG / EGGER / VAL DI NON

31/10/17 „Ich jäte nur, was ich säte.“ Ein Bergfeuer-Satz. Ein Leuchtfeuer-Satz. Auch ein Wegweiser-Satz? Vielleicht. Durch die vielgliedrige Landschaft von Oswald Eggers „Val di Non“ führen keine Markierungen, die Alpenverein oder Literaturkritik so einfach in die Gegend klecksen oder rammen könnten. - Oswald Egger erhält am Freitag (3.11.) den Georg Trakl Preis für Lyrik 2017.

Von Heidemarie Klabacher

„Oben liegt eine dicke Schuttdecke aus großen Platten eines grauwackenknöchrigen Gesteins“. Könnte aus einem Schulbuch früherer Tage stammen. „Grauwackenzone“ hat man gehört. Geologie und Mineralogie stünden aber nicht mehr im Lehrplan, hat der Bio-Prof beim letzten Maturatreffen erzählt. Ge- und Edel-Stein entsorgt auf der Schutthalde nutzlosen Wissens? Leichtsinnig. Wie hilfreich ist solch solides Wissen beim Spazierengehen und Wandern. Beim Durchwandern des Val di Non, eines – trotz seines verneinenden Namens - realexistierenden Tales in der Heimat des Südtiroler Lyrikers Oswald Egger und beim Durchträumen seines jüngsten Buches mit eben diesem Namen. „Val di Non“.

Weiter im Text auf Seite 124. Grauwackenzone also gibt es. Fast vor der Haustür. Aber bei Oswald Egger steht „grauwackenknöchrig“. Gesteinswissenschaft für Fortgeschrittene: Wie spröde, wie totenbleich, wie unspaltbar ist „grauwackenknöchrig“? Den Bio-Prof lässt man unangerufen und liest weiter: „… hier pilzt sich in den Schottern verkieseltes Holz: Weichlich, geschwärzt, humos ist der Boden, auf dem Haufen von Blättern und Zweigen vermodern…“ Hochgebirge oder Aulandschaft?

Wie ist es, im realen Val di Non zu wandern? Den Weg durch das Buch jedenfalls – so duftig es anmutet mit seinen jeweils dreizehnzeiligen Textblöcken im unteren Seitendrittel, den feinen und feinsten Zeichnungen und den luftigen Anmerkungen im oberen Zweidrittel – nimmt man keineswegs flott unter die Augen. Eggers Text will im Grunde laut gelesen werden. Jeder Konsonant, etwa wenn sich Spülfurchen über seitlich kriechende Rutschungen verbreitern, und jeder Vokal, etwa wenn sich die Werder der Gewässer Sandbänke keulenförmig länden: Jede Silbe, jeder Laut will ausgesprochen und genossen sein.

Die zumindest formal gedichtähnlichen Bemerkungen, die zwischen die Zeichnungen eingestreut sind, verstören mit der Gnadenlosisgkeit von Dogmen: „Um die Disten auszurotten, müssen die Spitzkohl-Raupen vertrieben sein." Oder: „Das mit einer engen Schlinge versehene Seil schnürt mich ein." Oder eben: „Ich jäte nur, was ich säte.“

So kommt man im Gebirge nicht weiter. Und auch im Buch nicht. Und das ist das Wunderbare an Eggers Texten. Der nie ermüdende vielfältige Sprachrhythmus drängt, lockt, schubst, zieht wie eine polternde Steinlawine oder ein munterer Bach (der aufgrund in einer geologischen Absonderlichkeit plötzlich verwindet). Ständig kommt man ins Trudeln, weil man sich dem Fluss gleichzeitig anvertrauen und widersetzen will - um zu irgendwelchen Nachschlagewerken zu greifen.

Da meint man sich zu vergewissern, dass „Kolke“ eine schrullige Schöpfung des Autors ist, und erfährt prompt, dass es ein Wort von vielen Bedeutungen ist, etwa für kleine wassergefüllte Vertiefungen, für Strudellöcher am Grund strömender Gewässer oder für Moor-Seen. „Werder“ hat doch auch was mit Wasserlandschaft und Inselchen zu tun. Sicher, denn „die Werder der Gewässer länden sich Sandbänke keulenförmig aus Leisten und von Halbmondformen auf“.

Um mehr oder meist weniger geläufige, aber immer fest in den geologisch-geografischen Wissenschaften verankerte Begriffe ranken sich üppig-bizarre Adjektivketten. „Silbergelb belackte Krokodile sind darin zu erkennen.“ Auch Verben wie „pilzen“ findet man nicht überall.

Die vieläugigen fein stricheligen Zeichnungen des Autors könnten im Skizzenheft eines Botanikers stehen. Seine „Anastomosen (und Syzygien)“ schauen genauso aus, wie man sie beim Herumsuchen beschrieben findet. Was für ein wunderbares Buch. Eines mit dem man nicht fertig wird! „Ich dachte den Gedanken nur zur Hälfte, dann kippt das Bild ein, geriet auf Nebenbahnen und musste neu anheben.“

Oswald Egger: Val di Non. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 207 Seiten, 28,80 Euro.
Oswald Egger, geboren 1963 in Lana in Südtirol, erhält für sein bisheriges Gesamtwerk am Freitag (3.11.) den Georg Trakl Preis für Lyrik 2017.
Bilder: Oswald Egger/aus „Val di Non“  

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014