Landwirtschaft und eine Achillesferse
HINTERGRUND / ARCHÄOLOGIE / NEUMARKT
19/07/19 Vor elf Jahren, da hatten Archäologiestudierende an der Universität Salzburg im Neumarkter Ortsteil Pfongau ein Erfolgserlebnis, auf das viele Archäologen zeitlebens warten: Sie fanden eine zwölf Zentimeter große Statuette der Liebesgöttin Venus.
Von Reinhard Kriechbaum
Vor zwei Jahren wurde dieser durchaus als sensationell zu bezeichnende Fund gar noch getoppt: Man beförderte eine winzige, gerade sechs Zentimeter große Statuette. Sie zeigt, wie der kleine Held Achill von seiner Mutter Thetis in den Fluss Styx gehalten wird, um ihn dadurch unverwundbar zu machen. Was diese Entdeckung so einzigartig macht: Bis dahin war kein dreidimensionales Kunstwerk bekannt, das gerade diese mythologische Szene zeigt. Einschlägig kundige Leser wissen: Das Eintauchen hat zwar grundsätzlich gut funktioniert, aber die Ferse – die sprichwörtliche Achillesferse – wurde für den Recken trotzdem zum wunden Punkt...
Seit elf Jahren sind in den Sommerferien Studierende der Universität Salzburg auf dem riesengroßen Areal in Neumarkt/Pfongau unterwegs. Sie arbeiten nicht nur mit Werkzeugen, die man sich gemeinhin für Ausgrabungstätigkeiten vorstellt, also mit Schaufel, Kelle und Pinsel. Unterdessen nutzt man modernste Technologien. Sogar Drohnen überfliegen das für die Römerzeit-Forscher so ergiebige Grabunfsfeld.
Das Langzeitprojekt in Pfongau ist die umfänglichste achäologische Untersuchung eines landwirtschaftlichen Wirtschaftsbereichs aus römischer Zeit im Land Salzburg. Seit 2008 wird alljährlich im Sommer vier Wochen lang gearbeitet, jedes Jahr graben rund ein Dutzend Archäologie-Studierende an einer anderen Stelle, heuer zum letzten Mal. Rund 15.000 Quadratmeter wurden so in den elf Jahren durchgeackert. In den nächsten beiden Jahren stehen die wissenschaftliche Aufarbeitung der vielen Funde und Daten sowie die Dokumentation auf der Agenda. Vielleicht wird dabei auch klar, wie und warum es einst mit der Villa und dem Wirtschaftsbetrieb zu Ende ging – darüber gibt es nämlich unter den Wissenschaftern derzeit noch keine einhellige Meinung.
Venus und der kleine ins Wasser getauchte Achill in Ehren – die Erkenntnisse reichen viel weiter. „Archäologen werden immer mit Schätzen in Verbindung gebracht“, rückt der Salzburger Landesarchäologe Raimund Kastler die Dinge zurecht. „Natürlich haben wir auch bedeutende Funde ausgegraben. Der größte Schatz, den wir hier herausgeholt haben, sind aber die die Erkenntnisse über 5.000 Jahre Landschaftsentwicklung. Das bringt die Wissenschaft weiter.“ Raimund Kastler und Felix Lang von der Universität Salzburg sind die Grabungsleiter. „Unser Ziel ist es, so viel Information wie möglich über das Leben der Bauern in der Römerzeit zu gewinnen“, erklärt Felix Lang. „Wie hat die Landwirtschaft funktioniert, welche Tiere wurden gehalten und welche Pflanzen angebaut?“
Zu diesem wissenschaftliche Aspekt kommt der praktische Nutzen für die Studenten. Sie lernen das praktische Know how einer solchen Grabung. Wie meist handelte es sich zuerst um eine Notmaßnahme: 1987 war man bei der Erschließung des Areals als Gewerbegebiet in Pfongau auf Teile eines römischen Gebäudes gestoßen. Es folgten Rettungsgrabungen, bei denen 1989 drei Steingebäude und ein Holzbau des Gutshofs aus dem ersten bis dritten Jahrhundert nach Christus freigelegt wurden.
Bei einer geophysikalischen Untersuchung wurden danach weitere Bauten und Teile der Umfassungsmauer geortet. Deshalb wurde 2008 ein Lehrgrabungsprojekt der Universität Salzburg ins Leben gerufen und in Kooperation mit dem Salzburg Museum, dem Museum Fronfeste und der Stadtgemeinde Neumarkt umgesetzt. „Es ist ein Musterprojekt: Von Anfang an gab es eine perfekte Zusammenarbeit, besonders auch mit den benachbarten Firmen und dem Grundbesitzer“, betonen Kastler und Lang.
In elf sommerlichen Grabungsperioden wurde der Wirtschaftsteil der Villa rustica – der so genannte „pars rustica“ – mit all seinen dazugehörigen Flächen und bisher elf Gebäuden untersucht. Man ortete unter anderem eine Schlosserei und drei Ziegelbrennöfen. Die am Rand einer Hochterrasse mit Blick auf das Salzburger Becken angelegte Villa rustica war von einer rechteckigen Einfriedung aus Holzzäunen und Hecken umgeben. Übrigens ist man auch auf Reste prähistorischer Besiedlung gestoßen.
Zur kleinen Thetis/Achilles-Statuette sagt Felix Lang vom Fachbereich Altertumswissenschaften: „Diese Bronzefigur zeigt, wie eng der Raum nördlich der Alpen mit der griechisch-römischen Kultur und ihren Mythen verbunden war. Dies verweist auch auf einen entsprechenden Bildungshintergrund der Besitzerfamilie, die mit Sicherheit zur lokalen Oberschicht gehörte und wichtige politische Ämter in Iuvavum, dem heutigen Salzburg, ausübte.“
Die römische Reichsstraße zwischen den beiden Municipalstädten Iuvavum (Salzburg) und Ovilava (Wels) verlief durch das Gebiet der heutigen Stadtgemeinde Neumarkt am Wallersee. Auch andere Funde, etwa das Grabrelief eines Legionärs an der Kirche in Pfongau oder ein 1988 entdecktes Büstengefäß, belegen, dass sich hier in der Römerzeit schon ein beachtliches Wirtschaftsleben entwickelt hatte.
In der keltischen Laténe-Zeit ( ab ca 500 v.) gehörte das Gebiet von Salzburg zum norischen Stammesverband. Der wegen seiner Rohstoffe wie Eisen, Gold und Bergkristall und des Transitweges begehrte Alpenraum wurde 15 v. Chr unter Kaiser Augustus okkupiert. Um 45 n. Chr. wurde Noricum unter Kaiser Claudius zur römischen Provinz und Iuvavum das Stadtrecht zugesprochen. Neben der Kernsiedlung – der heutigen Salzburger Innenstadt – umfasste die übrige Besiedlung des Landes vor allem Gutshöfe (villae rusticae), dörfliche Siedlungen (vici) und die an den Reichsstraßen gelegenen Stationen.
Die Gutshöfe im inneralpinen Gebiet befanden sich auf sonnenseitig gelegenen Terrassen. Die Anwesen im Alpenvorland sind hauptsächlich um die Stadt, auf das Seengebiet nordöstlich und nordwestlich der Stadt verteilt. Um die hundert Gutshöfe hat man bisher im Flachgau, im Chiemgau und in den nördlich und östlich daran anschließenden Gebiete bis zum Attergau ausmachen können. Die auf die Erzeugung von Überschüssen ausgerichteten Landgüter versorgten die zahlreichen Städte und vor allem das Militär.