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Vor Ort und für alle

RADSTADT / PAUL HOFHAIMER TAGE / ERÖFFNUNG

01/06/18 „Stellen wir uns vor, drüben, in der Stadtpfarrkirche von Radstadt, singt ein Bub als Kantoreiknabe im Chor. Wenig später erlernt er das Orgelspiel. Im Laufe seines Lebens wird er einer der berühmtesten Musiker der Renaissance werden…“ Brita Steinwendtner hielt am Donnerstag (31.5.) die Rede zur Eröffnung der 32. Paul Hofhaimer Tagen in Radstadt. - Hier die Festrede zum Nachlesen.

Von Brita Steinwendtner

Stellen wir uns vor, drüben, in der Stadtpfarrkirche von Radstadt, singt ein Bub als Kantoreiknabe im Chor. Wenig später erlernt er das Orgelspiel. Im Laufe seines Lebens wird er einer der berühmtesten Musiker der Renaissance werden. Hören wir die Klänge, wenn er spielt? Dringen sie zu uns herein über die alten Stadtmauern? Er war ein Einzelner an einem kleinen Ort. Er ging in die Welt, durchreiste Europa, spielte, lehrte, komponierte an Fürstenhöfen. Aber wenn er in der Kirche spielte, damals, um 1500, spielte er für alle Menschen.

Für die nächsten Tage ist dieser kleine Ort, aus dem Paul Hofhaimer als junger Mann fortging, wiederum Schauplatz für das Wagnis, von einem Punkt aus zumindest virtuell in die Welt aufzubrechen. Was wäre besser dazu geeignet, als Musik? Die nicht das Trennende betont, sondern das Gemeinsame sowie nach den Prämissen unseres Lebens sucht und, wenn es ganz gut ginge, nach einer besseren, menschenwürdigeren Zukunft. …

Kulturveranstaltungen kommen und gehen, streben auf, tauchen wieder unter. Fast vier Jahrzehnte gibt es den Kulturkreis DAS ZENTRM und mehr als dreißig Jahre bestehen die Paul Hofhaimer Tage, benannt nach ihm, der hier geboren wurde, am Hof Kaiser Maximilians lebte, mit den feinsten Gelehrtenköpfen Umgang hatte und der 1537 in Salzburg starb; der der „Fürst der Orgelkunst“ genannt wurde und von dem der große Humanist Konrad Celtis schrieb, dass „keiner süßer als er mit Händen das Plectrum regte“.

Dreißig, vierzig Jahre einer Kulturveranstaltung – das ist viel, sogar erstaunlich viel, wenn man aus dem Nichts Zukunft schafft und sie verteidigt gegen den rasanten Lauf der Zeit. Es ist viel, wenn man etwas aufbaut, das Menschen zusammen- und weiterbringen soll. Dafür ist ein mühsam aufzubauendes, weit gespanntes organisatorisches und aufklärerisches Netz vor Ort und im Land notwendig. Da müssen sich Fäden durch die Herzen des Publikums ziehen lassen – auch das kommt nicht von selbst. Es braucht das Können der Künstler und Künstlerinnen, sowie Enthusiasmus und Konsequenz, Phantasie und Großzügigkeit bei jenen, die Kunst vermitteln, fördern und finanzieren.

Radstadt: Der Ort zwischen Dachstein und Tauern, Ort vieler Spuren seit der Kelten- und Römerzeit, ist ein guter Ort für Musik. Nimmt man die Entwicklung der Paul Hofhaimer Tage, liegt die Vermutung nahe, dass hier nicht nur herausragende, geduldige Aufbauarbeit geleistet wurde und wird, sondern dass hier auch Menschen leben, die aufgeschlossen sind, bereit, zu lernen und sich dem Neuen zu öffnen.

Die Begegnung mit dem Fremden könnte hier Tradition haben, wie im Gasteiner-, wie im Raurisertal. Seit Jahrtausenden kamen und gingen Menschen durch diese Täler und über die Gebirge, sie schürften nach Gold und Silber, trugen Salz und Pelze, Wein, Gewürze und Seiden. Einheimische und Fremde lebten hier neben- und miteinander, vielfach wohl auch gegeneinander. Sie lebten, liebten und starben hier, kamen, gingen, manche blieben.

Es ist heute nicht anders. Menschen aus vielen Ländern arbeiten in Radstadt, Menschen aus vielen Ländern kommen als Gäste, auf Urlaub, zum Sport, zur Kultur. Die große Welt im kleinen Dorf? Aber sagt man nicht ohnehin, dass die Welt in unserer Gegenwart zum Dorf geworden sei? Jedoch: Was sagt das wirklich aus? Sind uns die Menschen aus einer südafrikanischen Provinz, einem nahen oder fernen Osten oder Westen tatsächlich näher gekommen? Gibt es weniger Krieg? Urteilen wir liebevoller über das Fremde? Wie nahe liegen Urteil, Vor-Urteil und Ver-Urteilung beisammen?

Bildende Kunst, Literatur und Musik hingegen leben von der Unterscheidung, der Präzision und zugleich von der Verzauberung, die sie ausstrahlen. Sie sprechen in Bildern, Büchern und Noten von dir und mir, von uns allen, unseren Ängsten und unseren Träumen, vorurteils- und grenzen-los: darum sind sie essentiell für jeden Einzelnen und jede Gesellschaf. An jedem Ort.

Die Namensgebung Kulturkreis DAS ZENTRUM, das so vielfältig in seinem Angebot ist wie kaum eine andere Kulturveranstaltung im Land - zwischen Musik, Kunsthandwerk, Kino, Architektur und Literatur - ist interessant: ein Kreis und ein Zentrum. Das verheißt Wirksamkeit vom Mittelpunkt aus. Ist Radstadt dieses Zentrum für die Region geworden? Das Programm der 32. Paul Hofhaimer Tage, ist ein mutiges Programm im Spiel von Orgel, Orchester, Kammerensemble, Gesang und Solopercussion, das Schubert und Mozart, über Piazzola und Raffaseder bis zu Zulu-Klängen aus dem südlichen Afrika reicht.

Alles jedoch bliebe ein Fremdkörper, wenn nicht ein ganzer Ort, eine ganze Region aktiv oder passiv sich daran beteiligte und das internationale Musikfestival immer mehr als „ihres“, ihr eigenes, empfände. Es willkommen hieße und es über den Tag, das Ereignis hinaus wirken und leuchten ließe. Dafür ist allen zu danken.

„Musik ist ein Freund“, sagt der Komponist Arvo Pärt, sie ist „verständnisvoll, empathisch, vergebend, ein Tuch, um die Tränen der Traurigkeit zu trocknen, eine Quelle von Freudentränen, aber auch ein schmerzhafter Dorn im Fleisch und in der Seele“. Sie kann uns, so denke ich, auf der Suche nach unserem Ich begleiten, vielleicht auch nach unserer Schuld, unseren Versäumnissen und unserer unterlassenen Liebe.

Wenn von Schmerz und Dorn die Rede ist, so ist die Frage nach Wahrheit und Lüge nicht weit. „Für ‚Wahrheit-sagen‘ gibt es kein Verb, für ‚Lügen‘ schon: Ich lüge, du lügst“, schreibt der Schweizer Schriftsteller Jörg Steiner in seinem Roman „Wer tanzt schon zu Musik von Schostakowitsch“. Musik kennt keine solchen Kategorien, sie ist jenseitsvon Wahrheit und Lüge. Sie ist ein verwirrender, herrlich-offener Kosmos. Mögen bei diesen 32. Paul Hofhaimer Tagen im Städtchen auf dem Felsen über der Enns einige Versuchsanordnungen erspielt und erhört werden, die der Vorstellung von Frieden nahe kommen: vor Ort und für alle.

Die 32. Paul Hofhaimer Tage in Radstadt dauern noch bis Sonntag (3.6.) – www.daszentrum.at
Bilder: kkdaszentrum

 

 

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