Gedichte statt Krieg
HINTERGRUND / Ö1 / DU HOLDE KUNST
08/10/15 Wie kommt es, dass ein Salzburger Goldschmied eine ganz entscheidende Rolle spielte bei der Gründung der sonntäglichen Radiosendung „Du holde Kunst“? Mit nun siebzig Jahren ist es die bei weitem älteste kontinuierliche Radiosendung im Programm.
Von Reinhard Kriechbaum
Im Theater sagt man „Abstimmung mit Füßen“, im Fall dieser Sonntagmorgensendung (8.15 Uhr) ist es bei vielen wohl eine Abstimmung noch auf dem Kopfpolster. Hauptsache, der Radioapparat läuft: Die Hörer selbst haben „Du holde Kunst“, vermeintlich einen Anachronismus in der Zeit des Quotendiktats, in die Gegenwart gerettet. Während sich die Sendungen drumherum, vom Heinz Conrads'schen „Was gibt es Neues“, über die Kabarett-Sendungen vom „Watschenmann“ bis zum „Guglhupf“ und weiter bis zum Kultur-Talk „Cafè Sonntag“ verändert haben, ist „Du holde Kunst“ wie fest gemauert stehen geblieben. Am 11. Oktober 1945 ist die erste Sendung ausgestrahlt worden, von der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot, in der amerikanischen Besatzungszone.
Wie war das nun mit Eligius Scheibl (1912 bis 1990)? Dieser Salzburger, der dritte aus einer Goldschmiede-Dynastie in Salzburg, war Enkel des gleichnamigen Bürgermeisters (der sich übrigens die Bürgermeisterkette selbst geschmiedet hatte, die immer noch als Insignium der Amtsinhaber dient). Klar, dass auch Eligius III. Goldschmied werden würde, aber neben dem Studium an der Angewandten in Wien hatte dieser auch als Externist das Reinhardt-Seminar besucht. Er besaß eine umfangreiche Bibliothek und Schallplattensammlung – keine Selbstverständlichkeit im Nachkriegs-Salzburg. Das war ein willkommener Fundus.
So gestalteten Scheibl und der eben aus der Emigration zurückgekehrte Schriftsteller und damalige Leiter der Abteilung für literarisches Wort beim amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot Ernst Schönwiese die ersten Sendungen der Reihe „Du holde Kunst“. Es ging den beiden darum, mit Poesie und Musik in den kriegsgeprüften Menschen wieder den Sinn für „das Schöne und Harmonische“ zu wecken. In der ersten Sendung lasen die Schauspieler Martha Marbo und Helmut Janatsch Gedichte von Goethe und Schiller zu Musik von Mozart, Bach, Haydn und Beethoven. Live, denn Tonaufzeichnungen konnte man damals im Salzburger Studio noch nicht machen. Am vergangenen Sonntag wurde eine Rekonstruktion dieser Sendung ausgestrahlt, mit Sonja Sutter und Peter Arens. Das war übrigens eine Produktion zum Sechzig-Jahre-Jubiläum 2005, und auch da war „Du holde Kunst“ schon das ältestes ORF-Format.
Nicht nur Eligius Scheibls Bücher und Musik-Ideen waren gefragt, als Reinhardt-Seminarist hatte er auch guten Draht zu Schauspielern. Peter Matic, Axel Corti, Albin Skoda, Paula Wessely, Ewald Walser, Will Quadflieg, Rolf Boysen waren bald mit von der Partie. Viele stellten sich bereitwillig in Dienst der guten Sache, nämlich den „Schmutz des Krieges“ aus den Herzen zu vertreiben. Lyrische Ästhetik sollte eine Art Flucht aus dem harten Alltag vermitteln, aber auch die „Sehnsucht nach einer lichteren und schöneren Welt“ zum Ausdruck bringen. Michael Heltau sprach einmal – in Anspielung auf den Sendetermin ebenso wie an den manchmal ein wenig weihevollen Tonfall – von einem „Gottesdienst der Kunst“.
Auch der langjährige Sendungsgestalter Klaus Gmeiner baute dann auf Prominenz, waren doch im Sommer wegen der Festspiel-Schauspielproduktionen immer ausreichend Schauspielerinnen und Schauspieler greifbar. Produktionsort war ja über Jahrzehnte Salzburg.
Seit 1967 ist „Du holde Kunst“ im Portfolio von Ö1. 1998 scheiterte der letzte von mehreren Versuchen, dem Lyrik-Dinosaurier den Gnadenstoß zu versetzen. Er scheiterte nicht an Nostalgie, sondern an echtem Hörer-Interesse. Peter Simonischek dieser Tage in einem ORF-Interview über die Sendung: „Bilder entstehen im Kopf, Kunst muss solche Freiheit geben.“
Der Sendungstitel ist der Anfang des von Franz Schubert vertonten Gedichts „An die Musik“ von Franz von Schober – und das ist eigentlich eine kleine Irreführung, denn eines war in all den siebzig Jahren absolut verpönt in der „Holden Kunst“: das gesungene Wort. Immer stand gelesene Lyrik wortloser Musik gegenüber.
Noch ein Streiflicht auf Eligius Scheibl: Er war keineswegs ein weltferner Schöngeist, sondern in der Nazi-Zeit aktiv im Widerstand und schon wegen Hochverrat abgeurteilt – weil aber die US-Armee zu dem Zeitpunkt schon unmittelbar vor den Toren der Stadt stand, entging er der Hinrichtung.