Der Biedermann und die Ordnungsstifterinnen
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19/12/11 In der flotten märchenhaften Komödie „Les femmes du 6ième Etage“ lässt Regisseur Philippe Le Guay seinen Protagonisten Fabrice Luchini im Paris der frühen 60erJahre die Welt der spanischen Dienstmädchen erforschen. Schuld daran hat Natalia Verbeke.
Von Michael Russ
Jean-Louis Joubert (Fabrice Luchini), ein Börsenmakler und Hausbesitzer Mitte Fünfzig, lebt mit seiner Frau Suzanne (Sandrine Kiberlain) ein eintöniges Leben im Paris der frühen 60erJahre. Er lebt nur für seinen Beruf, sie verbringt ihre Zeit mit Wohltätigkeitsveranstaltungen, Bridge und Tratsch. Die Söhne sind im Internat. Das neue spanische Dienstmädchen Maria (Natalia Verbeke), Mitte Dreißig, bringt Jean-Louis dazu, über Leben und Liebe nachzudenken. Er wendet sein Interesse mehr und mehr Maria und ihren spanischen Kolleginnen zu, die im sechsten Stock unter dem Dach in Substandardzimmern wohnen. Nach einem Streit mit Suzanne zieht er in eines dieser Zimmer.
Gerade hat man durch die von Herrn DSKs Eskapaden ausgelösten Diskussionen den Eindruck gewonnen, die Männer der französischen Oberschicht übten gegenüber Frauen weniger Zurückhaltung und Rücksicht als Schnitzlers übelste Protagonisten. Und nun kommt dieser Jean-Louis daher. Zwar entdeckt er auch gerade seinen Hang zum Küchenpersonal, ist aber trotzdem ein herzensguter Kerl. Ein bisschen peinlich ist er dabei schon, aber das muss man ihm verzeihen. Die Frau Mama war offensichtlich böse: „Sie hat niemanden geliebt.“
Die Jugend wurde im Internat verbracht, dann galt es das Familienunternehmen zu führen. Zum Heiraten wurde er auserwählt und sanft, aber nachhaltig gedrängt, obwohl Mama dagegen war – man stelle sich vor, eine Braut aus der Provinz. Sein einziger Wunsch: Das Frühstücksei soll genau dreieinhalb Minuten lang gekocht sein - und sogar das wird ihm regelmäßig verwehrt. Und dann kommt diese spanische Maria: attraktiv, zwanzig Jahre jünger und die Eieruhr kann sie auch ablesen. Man sieht ihn schon vor sich, diesen Jean-Louis, wie er in den sechsten Stock hinaufruft: „Maria, Maria, lass das Frühstücksei herunter – und die Kleider fallen, s’il vous plait!“ Ein Märchen eben.
Aber Fabrice Luchini spielt ihn ausgezeichnet, diesen überwutzelten Märchenprinzen. Steif zuerst, in seiner Welt gefangen und sich dann mehr und mehr auf die Welt der spanischen Dienstmädchen einlassend. Und doch fragt man sich – ohne einen etwas älteren Herren diskriminieren zu wollen – hätte man nicht einen Schauspieler finden können, der zehn bis fünfzehn Jahre jünger ist? Dann wären vielleicht die leichten Anflüge von Fremdschämen ausgeblieben, die sich einstellen, wenn ein Mann einer so deutlich jüngeren Frau nachschleicht.
Die Frauenrollen dagegen sind durchgehend optimal besetzt. Sandrine Kiberlain als ein bisschen verhuschte Bürgersgattin, die sich mit zahllosen Pseudoaktivitäten über die tägliche Leere hinwegrettet und dazwischen immer wieder die innere Unsicherheit und Verletzlichkeit aufblitzen lässt. Natalia Verbeke, attraktiv, aber nicht zu schön, die glaubwürdig ihren Weg geht. Die Spanierinnen, allen voran die Almodovar-erprobte Carmen Maura, sind ein bunter Haufen, die voller Spielfreude turbulente Arbeits- und Freizeitszenen entstehen lassen.
Von der Ausstattung her lässt der Film nichts zu wünschen übrig (Set-Design: Pierre- Francois Limbosch). Die Wohnungseinrichtung der Jouberts ist sogar für die 60er noch altmodisch. Der Übergang zwischen der Bürgerwohnung und den Dienstbotenzimmern ist fließend. Das Bindeglied bildet die Küche der Jouberts, die schlecht ausgestattet ist und ein wenig heruntergekommen wirkt. Der sechste Stock mit seinen winzigen Mansardenzimmern ist gekonnt abgewirtschaftet und das verstopfte Stehklo ist eine Meisterleistung.
Regisseur und Drehbuchautor Philippe Le Guay sagt, es sei ihm um das Eindringen in fremde Welten gegangen. Der bisher in seiner Welt gefangene Bürger erforscht die Welt der spanischen Dienstmädchen. „Jean-Louis Joubert entdeckt eine Gemeinschaft, eine andere Kultur, die sein Leben umkrempelt. Er ist irritiert, besorgt, und schließlich verführt.“ Eigentlich wollte Le Guay durch das Einführen der spanischen Gruppe der Falle „Herr verliebt sich in Dienerin“ entgehen. Das ist ihm nicht wirklich gelungen. Es bleibt durchgehend klar, wo die treibende Kraft für Jean-Louis Entdeckungslust liegt, eine Kopfsache ist das jedenfalls nicht. So oder so, der Unterhaltungswert ist jedenfalls hoch, es gibt in diesem Film ausreichend Stoff zum Lachen.
Zum Schluss bringt Jean-Louis‘ jugendlich gestylter Kabrio-Auftritt noch einmal einen ordentlichen Peinlichkeitsfaktor ins Spiel und das für alle passende Happy-End ist nicht ganz Kitsch frei, aber das tut dem Vergnügen keinen Abbruch.