War wohl nichts mit der Kommune
NEU IM KINO / DIE VATERLOSEN
08/04/11 Marie Kreutzer thematisiert in ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm mit einem erstklassigen Ensemble ein Stück jüngerer Vergangenheit und seine Auswirkungen auf die Gegenwart. - Der Streifen wurde kürzlich bei der "Diagonale" mit dem Großen Preis gekürt.
Von Michael Russ
Beim Stichwort „Kommune“ fällt einem zuerst wahrscheinlich Otto Mühl mit seinem Friedrichshof oder Rainer Langhans mit K1 ein. In den 1960er – 1980er Jahren gab es in Stadt und Land die unterschiedlichsten Kommunen: Freie Liebe, kein Privatbesitz und keine Hierarchie, das war - anfangs - der gemeinsame Nenner. Eine dieser Gemeinschaften lebte bis 1987 auf einem Bauernhof in der Nähe des steirischen Dorfes Hinterberg.
Der Tod des ehemaligen Kommunenchefs und Vaters Hans (Johannes Krisch) führt Niki (Philip Hochmair), Vito (Andreas Kiendl), Mizzi (Emily Cox) und Kyra (Andrea Wenzl) zurück auf den Hof. Sie alle wurden in der Kommune geboren und haben ihre Kindheit dort verbracht. Kyra musste den Hof gemeinsam mit ihrer Mutter 1987 kurz vor der Auflösung der Gemeinschaft verlassen. Nur sie und Mizzi sind leibliche Kinder von Hans, Vito und Niki stammen aus anderen Konfigurationen, die aber nur bei Niki durch einen Bluttest wirklich geklärt sind. Trotzdem sind die Beiden nach Auflösung der Gemeinschaft bei Hans und Anna (Marion Mitterhammer) auf dem Hof geblieben und haben dort auch ihre Jugend verbracht.
Annas Tochter Mizzi ist bass erstaunt, dass plötzlich eine Halbschwester auftaucht, die ihr bisher verschwiegen wurde. Kyra ist immer noch zutiefst verletzt, weil ihr geliebter Vater sie ohne Erklärung verstoßen hat und trotz ihrer vielen Kontaktversuche nie mehr etwas von sich hören ließ. Vito trauert den alten Zeiten nach und will sie manisch wieder auferstehen lassen und Niki stellt fest, dass er für seine seit 23 Jahren nicht gesehene Kindheitsliebe Kyra immer noch starke Gefühle hegt. Hans‘ Tagebücher und ein alter Kassettenrekorder sorgen für Verwirrung und Aufklärung zugleich.
Marie Kreutzer hat in ihrem ersten Spielfilm das Ensemble voll im Griff. Alle geben ihr Bestes und doch ragt niemand heraus, auch wenn Marion Mitterhammer und Johannes Krisch bei der Diagonale als Schauspieler geehrt wurden. Das Ensemble ergänzt sich wunderbar, die Dialoge - auch die wortlosen - laufen perfekt. Die Protagonisten sind genau definiert und in ihren Handlungsweisen immer glaubwürdig.
Gleichviel Sorgfalt wie auf die Personen wurde auf die Ausstattung verwendet. Das Haus - heruntergekommen wie die einstigen Ideale, ein Klappstuhl im See, die alten von Kindern beschrifteten Kassetten - bis hin zu den Gläsern und Milchkannen passt alles perfekt.
Auch der Humor kommt nicht zu kurz, in den Rückblenden (in blassen Farben, wie von altem Filmmaterial) darf über die Rituale der Kommune gelacht werden und über die blitzartige Abkehr von den Idealen, wenn es darum geht, bei der Auflösung so viel Materielles wie möglich für sich selbst zu retten. Auch Vito in seinen hilflosen Bemühen das Haus und die vermeintlich guten alten Zeiten - in völliger Ignoranz der Realität und der Wünsche der anderen - wieder herzustellen, hat sich so manchen leisen Lacher verdient.
Aber vorwiegend geht es darum, einen kritischen Blick auf die unterschiedlichen Vorstellungen von Familie und Zusammenleben zu werfen. Ausgehend von den idealistischen Vorstellungen der Hippiegeneration werden Wünsche und Realität der Protagonisten ausgeleuchtet. Seitensprünge, Kinder, Abtreibungen, Sehnsucht, Liebe, Egoismus, die Suche nach den eigenen Wurzeln: Vieles spielt eine Rolle im Leben der Protagonisten und prägt sie entsprechend. „Nicht jeder sollte Kinder großziehen“, ist einer der Schlüsse, der hier gezogen wird.
"Die Vaterlosen" ist ein Film der Vieles anspricht und Vielen was bieten kann, ohne deswegen in die Beliebigkeit abzudriften. Es steht zu hoffen, dass Marie Kreutzer in dieser Tonart weitermacht.