„Wir sind die Free Rider des Bergfilms“
HINTERGRUND / DAS KINO / ABENTEUER BERGFILM
07/11/13 Woran mag es liegen, dass man – seit zwei Jahrzehnten schon – mit dem Bergfilmfestival stets um die 10.000 Menschen anspricht? „An der Entwicklung des Bergfilms lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen ablesen“, sagt Michael Bilic, Leiter des Filmkulturzentrum „Das Kino“.
Von Reinhard Kriechbaum
1994 hat Bilic das erste Bergfilmfestival ausgerichtet, nachdem es im Zuge der Partnerschaft zwischen Salzburg und dem Trentino schon einschlägige Filmschwerpunkte gegeben hatte. „Damals drehten die Bergfilmer noch in 16 mm“, erinnert sich Bilic, „das war leicht und praktikabel“. Dann sei „ganz zaghaft“ die Videotechnik (VHS) aufgekommen. Mit Mini-TV hatten Bergsteiger erstmals wirklich kompaktes Gerät zur Verfügung. Blue Ray war eine weitere technische Entwicklung. „Wir hatten bis zu acht Abspielgeräte herinnen“, so Bilic. Heutzutage ist es wieder einfacher, logischerweise ist alles Material digitalisiert.
„Jetzt sieht man immer mehr Helmkameras“, so Bilic. Wer weiß, was das für Auswirkungen haben wird auf den Bergfilm, in formaler Hinsicht. Denn im Bergfilm spiegeln sich eben nicht nur sportliche Leistungen. „Auf den Berg gehen, also dorthin, wo gesellschaftliche Mechanismen und Zwänge nicht mehr wirken“ – so umschreibt der Salzburger Alpinist und Journalist Thomas Neuhold, der gemeinsam mit Barbara Humer das Programm kuratiert, die soziologische Komponente. „Wir sind nicht losgekoppelt“, sagt Neuhold, der Zeitgeist spiegle sich auch und gerade im Bergfilm. Als in den sechziger Jahren alle Achttausender bestiegen waren, „schien die Sache zu Ende“. Dann entdeckte man die sportliche Herausforderung, „plötzlich ging es ums Senkrechte, nicht mehr um die Höhe.“ Grenzerfahrungen sammeln in einer Welt, die abgesichert und durchorganisiert erscheint: Freeriding, Snowboarden, Paragliding, Boldern, Basejumpen, Eisklettern – solche Zeitströmungen und neue sportliche Moden haben sich im Bergfilm niedergeschlagen. Die Slackline wird längst nicht mehr nur zwischen Bäumen gespannt, sondern über Abgründen.
Michael Bilic konstatiert auch formalen Wandel. Das „Clipping“ sei überwunden, jetzt gehe es in vielen Bergfilmen wieder „um das Ausleuchten der Herausforderung, der Persönlichkeit". Kino also als Reflexion auf Entwicklung und Selbstverständnis der Menschen: "Wir sind die Free Rider des Bergfilms", sagt Bilic pointiert.
Für das 20. Festival „Abenteuer Bergfilm“ von 21. November bis 11. Dezember „haben wir 140 Filme angeschaut“, sagt Barbara Humer, „mehr als je zuvor“. Das Festival sei nach wie vor „ein Familientreffen der Bergsteigerinnen und Bergsteiger“, ergänzt Thomas Neuhold. „Wir haben keine VIP-Lounge eingerichtet, sondern präsentieren als Gäste jene Leute, die man aus den Medien kennt, so, wie sie wirklich sind.“ Die Freeclimberin Lynn Hill ist eine der Kultfiguren dieser Disziplin. Sie ist schon beim Pre-Opening, am kommenden Montag (11.11.) im „Das Kino“ zu Gast. Da wird auch der Band „Über den Gipfeln – Alpen aus der Vogelperspektive“ von Clemens Hutter vorgestellt.
Ein besonderer Akzent zum Festival-Auftakt: Am 21.11. wird die Junge Philharmonie die Originalmusik zum legendären Streifen „Im Kampf mit dem Berge“ von Arnold Fanck aus den Jahren 1920/21 spielen: Diese Musik zum Stummfilm hat Paul Hindemith unter dem Pseudonym Paul Moreno komponiert. Fancks Film ist der erste „abendfüllende“ Bergfilm in der Kinogeschichte.
Und das Neueste aus der cineastischen Bergwelt? „Petit Bus Rouge“ ist ein Kurzfilm über eine Gruppe von Bergfexen, die als „Flying Frenchies“ ihr Publikum mit Kletter-, Slackline- und Paragleitakrobatik überraschen und in einem kleinen roten Autobus unterwegs sind.
Eine ganz andere, öko-bewusste Art der Herausforderung suchten zwei norwegische Surfer: In einer einsamen Bucht auf den Lofoten nahmen sie im Wortsinn den Überlebenskampf auf. Neun Monate verzichteten sie auf alles, was die Zivilisation an Annehmlichkeiten bereit hält und lebten ausschließlich von und mit dem, das eben diese Zivilisation dort im Lauf eines Dreivierteljahres an Land spült. „Interessant in einer Zeit, da Krise ein Thema ist“, sagt Barbara Humer über diese Dokumentation „North of the sun“.