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Jedem Narren g‘fallt sei‘ Kappen

HINTERGRUND / TRACHT / FILMDOKUMENTATION

10/04/12 Bei der Viennale und unlängst bei der Diagonale in Graz hat Othmar Schmiderers Film „Stoff der Heimat“ viel Aufmerksamkeit gefunden. Heute, Dienstag (10.4.), hat die Dokumentation über Tracht und das dahinter stehende, komplexe Bündel aus Brauch, Ideologie und Mode Salzburg-Premiere im „Das Kino“. Dazu Überlegungen der Salzburger Volkskundlerin Ulrike Kammerhofer-Aggermann. Sie sieht in der Tracht eine Geschichte der Brüche und Widersprüche.

Von Ulrike Kammerhofer-Aggermann

„Stoff der Heimat“ – welch vieldeutiger Titel! Wen dieser Film von Othmar Schmiderer mit oder nach Ideen von Dr. Elsbeth Wallnöfer auch nicht kalt lässt, dem sei ein kleiner Einstieg in die Geschichte der Tracht gegeben, die wandlungsfähiger gar nicht sein könnte:

„Tracht“ ist eines jener Phänomene, Worte und Objekte, die im Laufe der letzten 120 Jahre zum Selbstdarstellungsfaktor wie zum touristischen Klischee Österreichs geworden sind. Tracht zählt auch in Österreich zur – höchst unterschiedlichen – Eigendefinition vieler gesellschaftlicher Gruppen. Sie wird zur Definition und Redefinition von Heimat, Geschichte und Tradition verwendet und gilt in der Gegenwart als Signal für „Lebensgefühl“, "Kreativität" und "Eigenart".

Die Geschichte der Tracht ist aber nicht nur eine beglückende Geschichte erfüllter Sehnsüchte und wärmenden Heimatgefühls, eine Geschichte der Traditionspflege und des Erhalts historischer Handwerkstechniken. Sie enthält auch harte Brüche und Ausgrenzungen, derer wir uns heute bewusst sein müssen, um Tracht wieder kreativ und unbelastet weiter zu verwenden.

Ganz allgemein leitet sich der Begriff "Tracht" vom Getragenen einer bestimmten Standesgruppe ab. Zwischen etwa 1500 und 1800 war den einzelnen Standesgruppen und Altersgruppen darin in Material und Art vorgeschrieben, was sie tragen durften. Das Regionale kam vor allem in Formen, Farben und Qualitäten der bäuerlichen Kleidung der Regionen zum Tragen – in beiderlei Bedeutung. Die erste, über knapp 300 Jahre wirksame Kleiderordnung hat Kaiser Maximilian I. erlassen. "Gewand und Stand" (F. Prodinger/R. Heinisch) waren untrennbar zusammen gehörig.

Was wir heute als "Tracht" bezeichnen, ist im Verlauf von 150 Jahren entwickelt worden: zuerst aus der städtischen Vorliebe für die vermeintliche Romantik der „Menschen in den Alpentälern“, aus binnenmerkantilen und sozialökonomischen Interessen (man denke an Karl Adrian und den Verein für Heimatschutz und Denkmalpflege) und schließlich aus verschiedenen politischen Interessen. Genau genommen ist daher heutige "Tracht" das Produkt und die Geschichte einer städtischen Sehnsucht nach einer besseren Welt und sichtbaren Zugehörigkeit.

Seit etwa 1900 haben in Österreich (wie in Bayern) stets zumindest drei Strömungen des Tragens von Tracht nebeneinander existiert, ohne sich wesentlich zu berühren – sieht man von den ausgrenzenden Verboten während der NS-Zeit ab. Das sind:

- das selbstverständliche Tragen heimischer/alpiner/traditioneller Kleidungsstücke durch die ländliche Bevölkerung (Beispiele des täglichen Gewandes wie sie bis in die 1950er bestanden. Heute gibt es diese unreflektierte Selbstverständlichkeit des Tragens von Alltagskleidung bzw. Weiterverwendens alter Kleidung unter Verzicht auf ästhetische Überlegungen nur noch selten. (z.B. Arbeitsschurz, Stallkleidung, Frauenkopftuch zur Arbeit, etc.).

- das Tragen von Tracht aus ideologischen Gründen, aus abgrenzenden, meist nationalen wie biologistischen Gründen. (Speziell Nationalsozialismus, Trachtenverbote).

- das „spielerische“ Tragen von Tracht aus bewussten, identifikatorischen Gründen als gesellschaftspolitisches und soziokulturelles Signal. (Gruppenzugehörigkeit und neues „Standeskennzeichen“: die Dirndlkleider der Sommerfrischler, die Alm-Mode der Après-Ski-Touristen, das Lodenkostüm als Signal des Regioanlbewusstseins, die „Dienstkleidung“ der Touristiker, das modisch schrille „Oktoberfestdirndl“, etc.).

Kurz gefasst: Das, was wir heute Tracht nennen, hat niemals so existiert, wie es heute aussieht. Und auch nicht mit eben dieser Bewertung. Es ist ein Kulturprodukt, das in den letzten 150 Jahren durch menschliche Kreativität entwickelt, angepasst und ausgewählt worden ist. Es führt eine wichtige Vorgeschichte der Entdeckung des Alpinen sowie der Entstehung der Begriffe „Volkskunst“, „Volkskunde“, etc. mit sich. Diese Geschichte der heutigen Tracht könnte man auch als „150 Jahre Suche nach dem Identifikatorischen, dem Regionalen“ bezeichnen.

Lassen wir also alles, was heute gemeinhin als „Tracht“ bezeichnet wird, in seiner Weise echt sein. Kleidung und natürlich auch „Tracht“ wird sich nie ganz wertfrei präsentieren können. In ihr werden sich immer wieder Geisteshaltungen, ja sogar Ideologien spiegeln. Kleidung ist ja nicht ausschließlich Wetterschutz und Verhüllung, sondern sie dient jedem einzelnen ebenso dazu, sich in der erweiterten Bedeutung zu schützen, zu verhüllen, zu präsentieren. Insofern werden in der Kleidung immer auch Werte und Normen des einzelnen, einer gesellschaftlichen Gruppe, einer weltanschaulichen oder politischen Strömung sichtbar bzw. mehr oder weniger plakativ dargestellt und vorangetragen werden. Im Smoking oder der Skaterhose doch auch! Solange auch in diesem Bereich demokratische Meinungsvielfalt herrschen darf und Toleranz zum Prinzip erhoben wird, ist das wohl kein Schaden. Wie heißt es so treffend im Volksmund: „Jedem Narren g’fallt sei’ Kappen und mir g’fallt mei’ Huat“.

Ulrike Kammerhofer-Aggermann, die Leiterin des Salzburger Landesinstituts für Volkskunde, ist in der Diskussion nach der Premiere des Dokumentarfilms „Stoff der heimat“ (heute, Dienstag, 10.4., 19.30 Uhr, Das Kino) auch am Podium, gemeinsam mit dem Regisseur Othmar Schmiderer und dem Leiter des Salzburger Heimatwerks, Hans Köhl. Im regulären Programm in den österreichischen Kinos läuft "Stoff der Heimat" ab dem Wochenende, in Salzburg im "Das Kino" ab 14.4.). Eine Fülle von Beiträgen zur Tracht in “Bräuche im Salzburger Land“, CD-ROM 3, 2005: www.salzburgervolkskultur.at
Bilder: www.stoffderheimat.at
Zur Filmbesprechung Auch schwule Schuhplattler tragen Tracht

Einschlägige Artikel der Autorin: Ulrike Kammerhofer-Aggermann: Vom Gewand nach Stand zur Salzburger Tracht. In: Zeitschrift Salzburger Volkskultur, 19. Jg. April 1995, S. 24-34. (Teilveröffentlicht in: NÖ Heimatpflege (Hg.): Niederösterreichischer Brauchtumskalender. Volkskultur. Mödling 1997, S. 100–119. – dies.: Die Geschichte einer Folklorisierung und Instrumentalisierung. Der Salzburger Lamberghut. In: Salzburger Volkskultur, 19. Jg., November 1995, S. 15–26. – dies.: „Volk in Tracht ist Macht“. In: Ein Ewiges Dennoch. Hrsg. Marko Feingold. Wien 1993, S. 261–279. – dies.: Dirndl, Lederhose und Sommerfrischenidylle. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. (=Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 14). Wien u.a. 2002. - Vgl. dies.: „Gegen diese Epidemie schützt weder der Lodenrock noch das Lamberghütchen“ Tracht und Hut als Zeichen von Integration und Widerständigkeit. In: Lebensgefühl Tracht, Kulturlandschaft, Musik. Forum Aussee 2001, Abschlussbericht. Hg. Nora Schönfellinger und Lutz Maurer. Bad Aussee 2001, S. 18-33.

 

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