Der Blick offen – die Grenzen fließend
IM PORTRÄT / KARL MÜLLER
06/11/15 Der Germanist Karl Müller zählt - man darf und muss es so sagen, auch wenn es ein wenig pathetisch klingen mag - zusammen mit namhaften Mitstreitern zum Gewissen der Universität, der Stadt und des Landes Salzburg – und weit darüber hinaus.
Von Heidemarie Klabacher
Was findet sich nicht alles, wenn man nach seinem Namen sucht: „Vorweihnachtliche Lieder von Tobi und Tobias Reiser. Lieder für das Salzburger Adventsingen“, veröffentlicht zusammen mit Josef Radauer. „Begnadet für das Schöne. Der rot-weiß-rote Kulturkampf gegen die Moderne“, entstanden in Zusammenarbeit mit Gert Kerschbaumer. „'Der Wackelatlas'. Zu Aspekten von H. C. Artmanns Arbeitsweise und künstlerischem Selbstverständnis.“ Verfasserin dieser Diplomarbeit ist die längst bekannte Autorin Teresa Präauer. Betreuer der Arbeit am Fachbereich Germanistik war damals Karl Müller.
Wundert es jemanden, dass auch das „Bramberger Obstprojekt“ - 10.000 Obstbäume wurden seit 2007 zwischen Hollersbach und Krimml gepflanzt und es kommen ständig weitere junge Bäume alter Obstsorten dazu – mit Karl Müller verbunden ist? Er war Vorsitzender jener Jury, die dafür den Salzburger Volkskulturpreis 2015 vergeben hat. Aus dem aktuellen Heft der Zeitschrift „Salzburger Volks.Kultur.Gut“: „Volkskultur ist für uns keine zeitunabhängige stabile ‚Wesenseigentümlichkeit’, also etwas angeblich Unberührtes oder gar national-volkhaft Raunendes und Ewig-Natürliches, angesichts der als bedrohlich und identitätsgefährdend wahrgenommenen gesellschaftlichen Veränderungen. Volkskultur ist eine möglichst aktivierende und letztlich selbsttätige Ausdrucksform, die die gesamte Bevölkerung in ihrer Differenziertheit widerspiegelt.“
Die Grenzen, zwischen den Themen, die den 1950 in Puch bei Hallein geborenen Wissenschaftler Karl Müller umtreiben, sind fließend. In dem groß angelegten Geschichts-Projekt „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“ setzt sich die Stadt Salzburg mit ihrer Geschichte in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft auseinander. Entwicklung, Entfaltung und Nachwirkung des Nationalsozialismus in der Stadt wurden und werden untersucht. Unter den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Karl Müller.
Von hier aus öffnet sich der Blick auf das wohl zentrale Wirkungsfeld, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Gilt es an die Salzburger Bücherverbrennung zu erinnern, eine Gedenktafel oder ein Mahnmahl einzufordern oder (seltener) zu enthüllen, ist Karl Müller meist Feder führend dabei. Manchmal aber auch Klarinette spielend - Klezmermusik - wie etwa 2007 bei einer Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung am 30. April 1938 auf dem Residenzplatz.
Dass Karl Müller 2013 beim großen Aktionstag „75 Jahre Salzburger Bücherverbrennung“ wieder beteiligt war, versteht sich. Auf Initiative von Tomas Friedmann, Inge Haller, Albert Lichtblau und Karl Müller hatten sich zahlreiche Salzburger Kultur- und Bildungseinrichtungen und engagierte Personen zur Initiative „Freies Wort“ zusammengeschlossen. DrehPunktKultur hat berichtet: „Das Erinnern hat in Salzburg einen Vater, den Historiker Gert Kerschbaumer. Daran erinnerte der Germanist Karl Müller beim Pressegespräch. Dass in Salzburg das ‚Erinnern’ überhaupt in Gang gekommen konnte; dass man 1987 Erich Fried zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen hat; überhaupt das Wissen um die historischen Fakten: All das basierte auf der tausend Seiten starken von Ernst Hanisch betreuten Dissertation von Gert Kerschbaumer, die im Jahr zuvor an der Universität Salzburg herausgekommen sei, so Karl Müller. Auch eine zweistündige Rundfunksendung von ihm und Kerschbaumer habe seinerzeit dazu beigetragen, dem Thema erste Öffentlichkeit zu verschaffen. ‚Dann folgten zwanzig Jahre öffentliches Schweigen bis zur Gedenkstunde am Residenzplatz 2007.’“
Karl Müller ist Mitglied des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte, Leiter des Online-Projektes „Österreichische SchriftstellerInnen des Exils seit 1933“ und Verfasser unzähliger Werke, Vorträge und Artikel zum Thema. Beeindruckend die Bandbreite der Publikationsliste.
Der Blick offen – die Grenzen fließend. Über den Volksmusikanten Wastl Fanderl hat er eine ausführliche Monographie geschrieben. Aus der DrehPunktKultur-Kritik: "Es ist imponierend, welche Fülle an dokumentarischem Material Karl Müller ausgewertet hat. Aber es ist noch viel beeindruckender, wie der Autor wertend umgeht mit diesem Material. Der Salzburger Germanistik-Professor ist einer, der (nicht zuletzt wegen seiner Mitarbeit im Institut für Jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg) höchst sensibilisiert ist für ‚braune Flecken’. Und zugleich ist Karl Müller quellen-kundig genug, um auch die nötigen Schattierungen aufzuspüren. Er geht nicht vorschnell verurteilend all jenen Formulierungen auf den Leim, um die ein Buch- oder Notensammlungs-Autor damals in diversen Vorwörtern gar nicht herumgekommen ist. Die akkurate Bewertung der Quellen, das Abgleichen mit Zeit-Typischem sind Vorzüge, die diese Biographie auszeichnen. Es wird nichts unter den Tisch gekehrt, aber Müller hütet sich auch, blindwütig die politische Moralkeule zu schwingen. Karl Müller scheut keineswegs das ideologische Einordnen, die Wertung. Aber der Weg zu seiner Meinungsfindung ist im ausführlichen Zitat-Teil genau belegt.“
Aber warum jetzt genau diese Eloge? Karl Müller geht – zumindest als a.o. Universitätsprofessor für Neuere deutsche Literatur am Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg - in Pension. Zu seinen Ehren findet heute Freitag (6.11.) im Literaturarchiv als Abschiedsfestveranstaltung eine Tagung statt, die genau die vielfältigen Interessen und Anliegen Karl Müllers spiegelt. Einige Themen: Robert Musil oder Eduard Paul Tratz. Literaturunterricht in der Oberstufe der AHS oder die Rabbinische Auslegung von Gen 1,1.