Ganz früh am Fortepiano
TODESFALL / INGRID HAEBLER
15/05/23 Als im Vorjahr eine umfängliche CD-Edition zu Ehren von Ingrid Haebler herauskam, titelte der Rezensent in der Süddeutschen Zeitung ziemlich hochnäsig „Mozarts Tante“. In Wahrheit war die Pianistin, Jahrgang 1929, eine der ersten, die Werke von Mozart und seiner pianistischen Wegbereiter, den Bach-Söhnen, fürs Hammerklavier wiederentdeckte.
Von Reinhard Kriechbaum
Dass in den späten 1950er und den 1960er Jahren die Renaissance der Alten Musik noch nicht wirklich eingeläutet und der Umgang mit dem Originalklang, mit Originalinstrumenten noch in den Kinderschuhen steckte, muss man mitbedenken, wenn man jetzt Aufnahmen von Ingrid Haebler hervorkramt. Es war alles andere als selbstverständlich, dass sich Pianisten von Weltrang ans altmodische „Fortepiano“ setzten. Ingrid Haebler hat unglaublich viele Schallplatten aufgenommen, 58 CDs umfasst die 2022 von DECCA aufgelegte ihr gewidmete The Philips Legacy. Nicht nur dem Alphabet nach steht auf der Haebler'schen Diskographie Johann Christian Bach an erster Stelle, beispielsweise hat sie dessen Klavierkonzerte mit Eduard Melkus als Dirigenten aufgenommen. Auch den Kompositionen von Carl Philipp Emmanuel Bach widmete sie sich am Hammerflügel – die beiden Bach-Söhne waren Wegbereiter Mozarts. Als dessen Interpretin hat Ingrid Haebler sich vor allem einen Namen gemacht.
In eine Wiener Adelsfamilie hineingeboren, bekam Ingrid Haebler allerbeste Förderung. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges siedelte sie mit ihrer Familie nach Salzburg über, wo sie als Elfjährige ihr Konzertdebüt mit einem Stück von Mozart und einer eigenen Komposition gab. 1947 wurde sie als besondere junge Begabung mit der Lotte-Lehmann-Medaille der Stiftung gewürdigt. Danach studierte sie in Wien und schließlich am Salzburger Mozarteum. 1950 wurde sie in Genf Schülerin von Nikita Magaloff und studierte dann auch noch in Paris. Zwei Zweite Preise beim Internationalen Klavierwettbewerb in Genf und 1954 der Erste Preis beim Wettbewerb der ARD und im selben Jahr beim Schubert-Wettbewerb in Wien begründeten ihre internationale Karriere.
Zwei Studienjahre lang (1969-1971) unterrichtete Ingrid Haebler am Mozarteum. 1979 erhielt sie die Silberne Mozart-Medaille der Stiftung Mozarteum. Das Foto entstand in Salzburg bei einer Feierstunde anlässlich ihres 90. Geburtstages an der Universität Mozarteum. Ingrid Haebler ist am Sonntag (14.5.) im Alter von 93 Jahren gestorben.
Bilder: Universität Mozarteum (1); DECCA (1)