Verliebt in die Viola
IM PORTRÄT / ANTOINE TAMESTIT
16/08/10 „Ligeti nach Mozart? Das Ohr ist zunächst überrascht. Aber dann hört es eine Art Klassizität bei Ligeti und entdeckt plötzlich das Moderne bei Mozart.“ Der Bratschist Antoine Tamestit spielt mit Frank Peter Zimmermann und Christian Poltéra die Streichtrios op. 9 von Ludwig van Beethoven.
Von Heidemarie Klabacher
Es gibt berühmte Bratschistinnen und Bratschisten wie Juri Bashmet, Gérard Causssé, Veronika Hagen, Kim Kashkashian oder Tabea Zimmermann. Trotzdem scheint die Viola immer ein wenig die „zweite Geige“ neben der Violine zu spielen. Erst im November 2006 gab Antoine Tamestit das allererste Viola-Recital, das je im New Yorker Lincoln Center stattfand.
Antoine Tamestit aber sieht sich keineswegs als „Botschafter“ der Viola: „Die Hauptsache ist, dass ich mit einer tiefen Liebe zu meinem Instrument erfüllt bin. Ich liebe den Klang vieler Instrumente, aber ich möchte mich kein anderes Instrument spielen sehen. Ich will kein ‚Botschafter’ sein, sondern diese tiefe Liebe zu meinem Instrument teilen“. Er versuche, „die Menschen in den Klang meines Instruments verliebt zu machen“.
Antoine Tamestit ist einer jener Künstler, deren Interesse von der Klassik über die Romantik bis in die Gegenwart reicht. „Ich liebe ein gemischtes Repertoire, denn die Werke unterschiedlicher Zeiten profitieren voneinander. Ligeti nach Mozart? Das Ohr ist zunächst überrascht. Aber dann hört es eine Art Klassizität bei Ligeti und entdeckt plötzlich das Moderne bei Mozart.“
Bei allen Unterschieden zwischen den Zeiten und Stilen: „Das Grundgefühl ist überall ähnlich.“ Natürlich vermittle die zeitgenössische Musik eher „moderne“ Gefühle, „aber der Transfer ist der gleiche“. Aufgabe des Künstlers sei es, so Antoine Tamestit, „diese Gefühle nachvollziehbar zu machen und die Qualität dieser Musik zu zeigen“. Aber, betont er im gleichen Atemzug, man dürfe seine „Vermittlertätigkeit“ nicht über- und die Aufnahmefähigkeit des Publikums nicht unterschätzen. Er jedenfalls glaubt nicht an Programme mit Werken aus nur einer einzigen Epoche: „Es wird schwieriger, die Feinheiten zu hören.“
Heute Montag (12.8.) im Großen Saal des Mozarteums steht dennoch ein „monothematisches“ Programm an: Zusammen mit Frank Peter Zimmermann (Violine) und Christian Poltéra (Violoncello) spielt Antoine Tamestit die drei Streichtrios op. 9 von Ludwig van Beethoven.
Mit Frank Peter Zimmermann Trio zu spielen, sei sein Traum gewesen, seit er 13, 14 Jahre alt war, erzählt Antoine Tamestit. Jetzt arbeitet diese Formation regelmäßig zusammen, bereitet sich aber über lange Phasen ohne gemeinsames Konzert auf den nächsten Auftritt vor. Derzeit liegen also die die Beethoven-Trios auf den Pulten. Und hier gibt es ebenfalls viel zu vermitteln: „Das Publikum weiß nicht genug über das Trio-Repertoire, dabei könnte es gleich wichtig sein, wie die Streichquartett-Literatur.“
Ein Meilenstein seien die Streichtrios op. 9: „Beethoven selber hat diese Trios für seine besten Kammermusikwerke gehalten.“ Tatsächlich sehe man an diesen Stücken des 28jährigen die ganze Entwicklung des Komponisten: Das Trio G-Dur op. 9/1 sei ganz „der junge Beethoven“, voller Frische und spielerisch-klassischer Leichtigkeit. Bereits im c-Moll Trio op. 9/3 sehe man den späten Beethoven, spüre seine innerlichen Qualen, staune über die komplexen Rhythmen. Das Trio D-Dur op. 9/2 sei die Verbindung, „die etwas von beiden Seiten hat“. Entstanden sind die drei Werke op. 9 im Jahr 1798: „Einfach unglaublich, in einem Werk in so kurzer Zeit eine solche Entwicklung zu sehen.“
Seit Oktober 2007 ist Antoine Tamestit, Jahrgang 1979, Professor an der Kölner Musikhochschule. „Ich hatte eine riesige Angst davor, eine volle Lehrverpflichtung anzunehmen.“ Meisterkurse habe er zuvor schon häufig und gerne gegeben: „Aber das ist etwas ganz anderes: Das ist ein Teilen im Moment, eine intensive Kommunikation in kurzer Zeit.“ Eine Klasse zu übernehmen, bedeute viel mehr Verantwortung. Er habe alle seine eigenen Lehrer gefragt, ob er sich das mit seinen damals 27/28 Jahren zutrauen dürfe. Alle hätten das Gleiche gesagt: „Unterrichten ist ein Job, den man jedem Studenten, ja mit jeder Stunde, neu lernen muss.“ Selbst der gleiche Schüler reagiert nicht in jeder Stunde gleich, und als Lehrer müsse man genau darauf reagieren lernen.
Sein Ziel sei es, den Studenten dabei zu helfen, „das was auf dem Papier steht, zu realisieren“, ihnen zu helfen, „ihre eigenen Lehrer zu werden und ihre eigenen Probleme selber zu lösen“. Das Unterrichten sei für tatsächlich eine große Herausforderung und eine große Bereicherung: „Ich bin als Musiker in einer glücklichen Situation, ich kann viele Konzerte geben und ein breites Repertoire spielen.“ Aber erst das Unterrichten hätte ihm gegeben, was er immer vermisst hatte: „Einen Weg durch immer neues Fragen immer noch tiefer in die Musik hineinzufinden und noch intensiver darüber nachzudenken.“