… dann hat Webern wieder seine Ruhe
INTERVIEW / WOLFGANG SEIERL / KOFOMI
06/07/21 Das Komponistenforum Mittersill, gegründet als klingendes Denkmal für Anton von Webern – anno 19 45 erschossen in Mittersill – besteht seit 25 Jahren. Fixen Termin diesen September gibt es noch keinen. Die Zukunft ist nicht grad rosig. – Sylvia Wendrock sprach im Mica-Interview mit dem Gründer, Komponisten, Gitarristen und bildenden Künstler Wolfgang Seierl.
Von Sylvia Wendrock
MICA: Wir haben uns vor ziemlich genau zehn Jahren in einem Café gegenübergesessen und über das KOFOMI und dessen möglichen oder sinnvollen Fortgang philosophiert – was ist denn seitdem passiert?
Wolfgang Seierl: Es war damals nach 15-jährigem Bestehen des KOFOMI die Überlegung, einmal zu hinterfragen, ob dieses Modell noch zeitgemäß ist oder ob nicht eine neue Konzeption notwendig wäre. Über dieses Zurückschauen und Sammeln alles bisher Geschehenen versuchten wir auf Zukünftiges zu schließen. Und das Ergebnis war überraschenderweise, dass das Bedürfnis nach solchen Plattformen, wo persönliche Kontakte, individuelle Zusammenarbeiten und gewisse Auszeiten möglich werden, eher größer geworden ist. Peu à peu hab ich dann das Forum für alle Disziplinen geöffnet, sodass es heute gar kein Komponistenforum im engen Sinne mehr ist. Wir haben in dem Zuge Residencies mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Philosophinnen und Philosophen, einem Theologen, Performancekünstlerinnen und –künstlern gehabt und dadurch große Bereicherung erfahren. Das hat zur gedanklichen Öffnung beigetragen und den Trend bestätigt, dass sich Komponierende und Ausführende zunehmend an einen Tisch setzen – Rudi Illavsky fand damals dafür so passende Begriffe wie „Kompusiker“ oder „Musikisten“, wenn ich mich recht erinnere. Bis heute hält diese Entwicklung an, Tanz, bildende Kunst, Film, Video kommen noch hinzu.
MICA: Was hat sich dadurch an deiner kuratorischen Arbeit geändert?
Wolfgang Seierl: Die Auswahl der Teilnehmenden ist einerseits noch intuitiver geworden, konnte andererseits viel mehr meinem Wunsch folgen, Menschen aus unterschiedlichsten Kategorien und Genres zusammenzubringen. Vorher war das ja doch sehr auf das Feld der Neuen oder experimentellen Musik fokussiert und bewahrte dessen ziemlich hermetische Geschlossenheit.
MICA: Wahrscheinlich hat die Neue Musik das auch gebraucht …
Wolfgang Seierl: Dieser Trend geschieht ja auch außerhalb des Forums und erzeugt unglaublich spannende Projekte. Gerade die Neue Musik ist für mich auch immer noch ein Phänomen des angehenden 20. Jahrhunderts, die Musik einer kleinen, sehr elitären Gruppe, deren Konzepte später immer mehr aufgeweicht wurden. Spätestens als neue Komponisten hinzukamen, die von der Grundidee gar nichts mehr wussten, wurde mir klar, dass es keinen Sinn macht, sich an eine historische Kategorie zu klammern. Genauso macht es keinen Sinn, sich an die historische Person Anton Webern zu klammern. Es war und ist ein guter Ausgangspunkt, an dem Ort, an dem er zu Tode gekommen ist, weiterzumachen. Aber es war nie ein Ziel oder eine Aufgabe des KOFOMI, ein zurückblickendes Webern-Gedenken im Sinne eines Webern-Festivals zu etablieren.
MICA: Das heißt, Künstlerinnen und Künstler anderer Sparten arbeiten sich jetzt nicht in Bezug auf Anton Webern ab, sondern er gehört einfach in die Annalen des KOFOMI …
Wolfgang Seierl: Es ist schon immer wieder ein Thema für alle, die neu nach Mittersill kommen, aber wir wollen kein Webern-Forum sein. Seine Person ist einfach mit der Ursprungsidee verknüpft, das aktuelle Geschehen in den Mittelpunkt zu stellen.
MICA: Entspricht es nicht auch mehr deinem künstlerischen Selbstverständnis, die verschiedenen Künste im Austausch einander in Begegnung zu bringen?
Wolfgang Seierl: Das ist bei mir insofern ambivalent, als dass ich versuche, meine verschiedenen Tätigkeiten doch deutlich voneinander zu trennen. Mein Anliegen ist eher, in all diesen Bereichen wach zu sein. Es geht auch in Mittersill nicht darum, dass immer alle alles gemeinsam machen, sondern dass eine gewisse Offenheit in einem Bereich entwickelt werden kann, der einem zuvor verschlossen war. Vor allem als Musikstudent und junger Komponist störte mich bei Kollegen oft die Verständnislosigkeit gegenüber anderen Künsten, was natürlich beispielsweise auch der notwendigen Hochspezialisierung auf Instrumente zuzuschreiben ist. Solchen Defiziten lässt sich in Mittersill sehr elegant begegnen, weil sie nicht durch eine trockene Werkrezeption behandelt werden, sondern dies über ein persönliches Gespräch oder eine gemeinsame Erfahrung und gemeinsame Arbeit geschieht. Das ist leichter und genussvoller und geht auch sehr schnell vonstatten.
MICA: Auch eine zukunftsweisende Antwort auf die Frage, wie mit der überbordenden Fülle an Informationen umzugehen ist und wie Orientierungsmöglichkeiten gefunden werden können. So, wie es in der Antike das Ideal des Universalgenies gab, ist so ein universelles Wissen vielleicht in einer offenen, zugewandten Gemeinschaft möglich.
Wolfgang Seierl: Ich zitiere da immer wieder gern einen Satz von Morton Feldman, den er in Donaueschingen gesagt haben soll: „Ein Komponist, der keinen Maler als Freund hat, hat ein Problem.“ Denn er hatte eine sehr intensive, lebenslange Freundschaft mit einem bildenden Künstler, dem Maler Philip Guston, was man in seiner Arbeit auch spürt, die räumlich, flächig und teilweise fast malerisch wirkt. Das betrifft aber nicht nur das Werk, sondern auch den philosophischen Hintergrund; solche Freundschaften erweitern den Horizont und bringen weitere Dimensionen ins Denken. Sich als Fachmann nur mit Fachleuten zu umgeben, gefährdet die Welt, die ihn umgibt. Jedes Handwerk braucht natürlich Fachwissen und entwickelt sich auch dadurch ins Detail, aber die großen Würfe und Erfindungen entstehen trotzdem nur, wenn ich über den Tellerrand hinausschauen kann. …
MICA: Wenn im vorigen Jahr der Titel des KOFOMI „#for future“ lautete, was kann dann dieses Jahr folgen?
Wolfgang Seierl: Der Titel sollte an die Klimakrise gemahnen. Lange war nicht sicher, ob das Forum wegen der Pandemie überhaupt realisierbar sein wird und hat dann glücklicherweise doch fast wie geplant stattfinden können. Dieses Jahr ist die Realisierung des Forums noch weniger gesichert, deswegen hat es jetzt den Arbeitstitel „#for future 2“, denn es geht ja nach wie vor bzw. mehr denn je um unsere Zukunft, und eben mit der Erweiterung „unerhört“. Mein Partner und Mitorganisator Martin Daske aus Berlin kuratiert die Konzertreihe „unerhört“ in Berlin und steuert quasi seine Passion und Profession mit bei, das Wort hat aber auch etwas sehr Subtiles einerseits, wenn etwas noch gar nicht gehört werden kann, und andererseits meint es einen Ärger, eine Wut und Empörung über die Dinge, wie sie heute sind, und über uns selbst, die wir dazu beigetragen haben.
MICA: Wie sehen diesem Gedanken gemäß kuratorische Entscheidungen aus? Wie geht ihr da vor?
Wolfgang Seierl: Es gab einige Ideen, die sich kaum umsetzen lassen bei Subventionszusagen, die eigentlich Absagen sind, wenn sie nur ein Drittel der beantragten Summe gewähren. Es war geplant, dem Jahresregenten Dante Alighieri mit einer Aufführung von Michael Mautner Rechnung zu tragen, der die „Göttliche Komödie“ sehr zum Abbild gegenwärtiger Umstände gestaltet. Zudem sind Künstlerinnen und Künstler geplant, die voriges Jahr schon nicht kommen konnten. So ist zum Beispiel die Tänzerin und Choreografin Toshiko Oka aus Japan erneut eingeladen. Schon das Eröffnungskonzert mit Kathrin Kolleritsch aka Kerosin 95 mit sehr engagierten Texten nimmt Bezug auf unsere aktuellen Krisen und gesellschaftlichen Probleme. Mit der Einstiegsperformance soll schon klar werden, dass es jetzt darum geht, sich klar zu positionieren. Mehr Programmierung wagen wir im Moment wegen der unklaren Finanzierungssituation noch nicht. Angefragt haben wir auch Marlene Streeruwitz mit ihrem kritischen und aktuellen Blick, um wieder Öffnungen in anderen Kategorien zu ermöglichen. Die Medienkünstlerin Maria Morschitzky wird auch auf Wunsch von Toshiko Oka kommen. Beide wollten sich in Mittersill mehr austauschen, was sicher sehr fruchtbar werden würde. Aber noch sind wir am Warten.
MICA: … und das in einer Gesellschaft, die alles in Zahlen ausdrückt, nur diese Anerkennung nicht.
Wolfgang Seierl: Wir haben jetzt das 25. Jahr, vielleicht der Zeitpunkt, Anerkennung für unsere Arbeit im Sinne angemessener Unterstützung zu bekommen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn der letzte Bescheid noch aussteht, ernüchternd ist es allemal. Ich spiele daher schon länger mit dem Gedanken aufzuhören, es ist ja nicht mein einziges künstlerisches Projekt. Ich muss das Forum nicht um jeden Preis machen, erst recht nicht nach so langer Zeit. Auch wenn es gerade jetzt wichtigst wäre, solche Dinge weiterzutun, kann ich es mir langsam nicht mehr leisten. Dass keiner zu diesen Bedingungen meine Arbeit fortführen möchte, spricht dazu ja Bände. Aber es kann auch ganz pragmatisch gesehen werden: Wenn in einem Museum kein Platz mehr für ein 30×30 Meter großes Gemälde ist, dann wird es eben nicht aufgehängt, und Webern hat wieder seine Ruh’. …