Ruhe dem Schreiben
IM PORTRÄT / LAURA FREUDENTHALER
23/10/19 Laura Freudenthaler ist die seltene Sorte der Schreibenden, die von der Anerkennung, die ihnen zugemessen wird, leben können. Den ihr verliehenen Stipendien und Preisen schließt sich jetzt auch der EU-Literaturpreis an.
2010 wurde sie mit dem Ö1-Wörtherseepreis ausgezeichnet. 2012 erhielt sie das Autorenstipendium der Stadt Wien und 2014 ein Startstipendium für Literatur des Bundeskanzleramtes. 2015 folgte das mit 10.000 Euro dotierte Jahresstipendium für Literatur und jetzt (am 2. Oktober 2019) der mit 5.000 Euro dotierte EU-Literaturpreis für ihren Roman Geistergeschichte.
Laura Freudenthaler wurde 1984 in Salzburg geboren. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Gender Studies in Salzburg und Wien. Nach einem Aufenth
alt in Frankreich lebt sie seit 2009 wieder in Wien. Die Anerkennung durch die Öffentlichkeit nimmt Freudenthaler aber nicht einfach hin, sondern schätzt sie aufrichtig: "Ich bedanke mich von ganzem Herzen, denn dasselbige Herz freut sich ganz blöde auf die kommenden Monate, die dank des Preisgeldes in aller Ruhe dem Schreiben gewidmet sein werden“, freut sich die Schriftstellerin beispielsweise damals über das ihr – für ihren Roman Die Königin schweigt – verliehene Jahresstipendium für Literatur. Die Jury beurteilte Freudenthalers Schreiben so:
„Dem Erzählten liegen in Freudenthalers Text Erinnerung und Recherche zugrunde, trotzdem wird gestaltet, werden Figuren erfunden und erschaffen. [...] Über Geschichten, Fotos oder Reisen in die Kindheitsgegend wird bei der Erzählerin Erinnerung in Gang gesetzt, die der Motor für diese Geschichte ist, und gleichzeitig immer wieder hinterfragt.“
An diesen Debütroman knüpft Laura Freudenthalers 2019 mit ihrer bei Droschl erschienenen Geistergeschichte an. Die von ihr perfektionierte Kunst der erbarmungslosen Beschreibung führt direkt in die Wahrnehmung Ihrer Protagonistin, Anne, hinüber. Immer tiefer folgen die Leser einer Welt der Spiegelungen und doppelten Böden, in der Wirklichkeit und Vorstellung ineinanderfließen:
„Er habe einen Flecken entdeckt, sagte Thomas vor vielen Jahren und wollte ihn Anne zeigen. Keinen Flecken Erde, sagte er, einen Flecken in der Welt. Er hielt den Wagen an einer erhöhten Stelle und sie blickten auf die Ortschaft hinunter. Eine Handvoll Häuser, weiß gekalkt, die Dachziegel in Erdfarben nachgedunkelt. Es gab ein Geschäft, in dem man Lebensmittel und Haushaltswaren kaufen konnte oder an einem der drei Tische sitzen und warten, bis der Regen nachließ. Der Kaffee war bitter und wässrig zugleich. Sie hatten sich im nassen Wald verlaufen, das Laub an den Bäumen war noch farbig, auf dem Boden faulte es als dichte Decke. Es gab keinen Weg mehr, stehenbleiben wollten sie nicht. Schließlich lichteten sich die Bäume und vor ihnen fiel das Gelände jäh ab. Dort drüben liege der Flecken, Thomas zeigte in die Landschaft. Anne hätte ihn in der anderen Richtung vermutet. Sie seien aus dem Westen gekommen, sagte Thomas. Sie denke aber nicht in Himmelsrichtungen, sagte Anne, wenn sie in eine Landschaft schaue. Vielleicht, wenn sie es aus der Luft sehen würde. Er setzte zu einer erneuten Erklärung an. Sie betrachtete den Farbverlauf des Waldes, der die Senke vor ihnen und die Hügel rundherum bedeckte. Das Bedecken war eine Bewegung, der Wald eine Herde von Tieren, so groß und dicht, dass man kein einzelnes ausmachen konnte. Nur ein Ziehen drang in den Körper wie die Nässe, die überall war.“
Der EU-Literaturpreis wird seit 2009 jährlich an eine andere Gruppe von Ländern vergeben, die sich am Programm Creative Europe der Europäischen Kommission beteiligen. In jedem dieser Länder bestimmt eine nationale Jury die jeweiligen Gewinner. (LK/Verlag Droschl/dpk-jw