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Herrgottswinkel war gestern, Tankstelle ist angesagt!

IM PORTRÄT / MICHAEL WEESE

13/10/16 „Wir haben Häuser und Inventar gesammelt – was fehlt, sind die Lebensgeschichten“, sagt Michael Weese, der designierte Leiter des Salzburger Freilichtmuseums. Alltags- und Lebensgeschichten von einst und von jetzt will er verstärkt nachspüren.

Von Reinhard Kriechbaum

Nicht nur Häuser also, sondern „Hausgeschichten“. Museumsbahn, ja freilich – aber Tankstelle auch, denn dort treffe sich die Dorfjugend, sagt Michael Weese, wobei der bisherige Leiter des Landesmuseums Burgenland vielleicht Ostösterreich noch ein wenig mehr im Blick hat als den inneralpinen Raum. Aber er hat natürlich absolut recht, wenn er zwar die Erfolgsgeschichte des Salzburger Freilichtmuseums (mit rund 120.000 Besuchern jährlich) und die Leistung seines bald in Pension gehenden Vorgängers Michael Becker würdigt, aber: Manche Veränderungen des ländlichen Raums sieht er dort noch überhaupt nicht abgebildet. Becker denkt da etwa an „Urlaub am Bauernhof“ oder an Fertigteilhäuser. Oder eben auch an die Tankstelle als örtlichen Nahversorger auch in soziologischer Hinsicht. „Nur schön und alt ist zu wenig“, antwortet er auf eine etwas unbedarfte Journalistenfrage. „Es geht in einem Museum wie diesem darum, nicht nur Schönes zu sammeln, sondern das Leben abzubilden.“

Michael Weese hat sich gegen 61 Mitbewerber (17 davon kamen in engere Wahl) durchgesetzt. Er sei von Museumsseite gebeten worden, sich zu bewerben. In einem Pressegespräch mit dem zuständigen Landesrat Heinrich Schellhorn heute Donnerstag (13.10.) hat er sich als ein Volkskundler modernen Zuschnitts eingeführt: als einer, für den nicht das Bewahren allein im Vordergrund steht, sondern der seinen Fachbereich an der Schnittstelle zur Soziologie verortet. Beim Kerngebiet des Salzburger Freilichtmuseums, den Bauernhäusern, kennt er sich freilich auch aus. „Ich hatte Glück“, sagt der HTL-Absolvent, „mein Vater war Baumeister“. Urlaube seien immer in „Häuserschauen“ gemündet. Das hat er, der dann auch zeichnend und fotografierend künstlerischer Tätigkeit nachging, dann auch in eine Lehrtätigkeit für Räumliches Entwerfen und Architekturmodellbau an der „Angewandten“ eingebracht.

Von dem Museumsdidaktiker Dieter Bogner hat Michael Weese das Handwerk des Ausstellungmachens gelernt. Das Studium der Europäischen Ethnologie/Volkskunde in Wien mündete schließlich in eine Diplomarbeit auf originellem Terrain: Den Fertighauspark „Blaue Lagune“ in der Nähe von Mödling hat Weese auf ethnographische Aspekte hin untersucht.

Bauhaus- und Lagerhaus-Design statt Rauchkuchl? Der 1959 in Wien geborene Michael Weese weist im Gespräch mit DrehPunktKultur schon auch darauf hin, dass es am volkskundlichen Rüstzeug und Basiswissen nicht fehlen dürfe. Soziologie allein tut's auch nicht. „Ich möchte den bisherigen Weg mit dem Team fortsetzen, aber das Salzburger Freilichtmuseum von einem historischen Museum der Haus- und Bauforschung zu dem Museum der ländlichen Kultur Salzburgs verwandeln“, erklärt Weese. Die vielfältigen Beziehungen „zwischen Menschen und ihren Behausungen“ sollen sichtbar werden, und er könnte sich durchaus auch Vergleiche mit Bauformen aus anderen Kulturkreisen vorstellen. Warum sieht ein Bauernhaus hierzulande so aus, wie es eben aussieht? Aktuelle Themen und Fragestellungen wie „Fortgehen“, „Selbermachen“, „Nachhaltigkeit“ oder „Innovationen“ stehen auf Michael Weeses To-do-Liste fürs Freilichtmuseum.

Er spricht von interdisziplinärer Zusammenarbeit, natürlich auch mit dem Salzburg Museum, den Regionalmuseen, mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Das soll soll künftig überhaupt „ein unverzichtbarer Baustein zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Freilichtmuseums“ sein, er denke aber auch an Verschränkungen mit der Bildenden Kunst (etwa „Heimatphotographie“) oder mit dem Literaturhaus Salzburg („Geschichten vom Ländlichen“).

Ein lebendiges Museum ist immer eine Baustelle“, sagt der designierte Direktor. Eine Baustelle wird auf längere Sicht auch vor dem Museum entstehen – ein neues Eingangsgebäude nämlich. Das bisherige Dauerprovisorium sei für die Besuchermassen nicht mehr geeignet.

Die französische Idee vom „Ecomusée“ schwebt ihm als Vorbild auch für Großgmain vor, jenes im Elsass hält er für besonders beispielhaft. Auch in nordeuropäischen Freilichtmuseen entdeckt Michael Weese viel, was er hier umsetzen möchte. Und, auch nicht unwichtig: „Ich brauche keine Lederhose, um meine Verbindung zur regionalen Kultur zu zeigen.“

Mit Februar 2017 wird Michael Weese Nachfolger von Michael Becker, der das Salzburger Freilichtmuseum in Großgmain seit 1988 leitet.

Bild: LMZ/Otto Wieser

 

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