23.500 historische Krankenakten
HINTERGRUND / LANDESARCHIV
27/02/15 Das Material liegt wohl geordnet im Landesarchiv: Akten der Christian-Doppler-Klinik von 1850 bis 1969. Für die medizin- und sozialhistorische Forschung tun sich nun viele Optionen auf.
Unter Migranten hat man es heute immer wieder mit von Kriegshandlungen traumatisierten Menschen zu tun. So etwas gab es natürlich früher auch. „Kriegszitterer“ nannte man aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrte Soldaten, die unter psychischen Auffälligkeiten litten. Das Zittern war besonders verbreitet. Der Umgang mit psychisch Kranken ist generell ein aufschlussreiches kulturhistorisches Thema.
„Noch bedeutsamer als das Forschungsinteresse erscheint die fachgerechte Archivierung der Krankenakten jedoch aus Respekt vor den damaligen Patientinnen und Patienten und deren Familien“, hieß es in einem Pressegespräch am Donnerstag (26.2.), an dem Gesundheits-Landesrat Christian Stöckl, der Leiter der Christian-Doppler-Klinik Reinhold Fartacek und der Leiter des Landesarchivs Oskar Dohle teilnahmen.
Notwendig ist die Übersiedlung der Akten ins Landesarchiv deshalb geworden, weil in den Kellerräumen der Christian-Doppler-Klinik Schimmel und Feuchtigkeit problematisch für die Lagerung waren. Eigentlich sind Spitäler nur verpflichtet, Krankenakten dreißig Jahre lang aufzuheben. Dass man es in der Christian-Doppler-Klinik anders gehalten hat liegt daran, dass man die historische Dimension dieser Akten ehzeitig erkannte und Maßnahmen zur Sicherung einleitete.
Gamma-Bestrahlung zur Schimmelabtötung, manuelle Reinigung und Vorsortierung nach Aufenthaltsjahrgang, Indexerstellung, Verpackung in „archivtaugliche“ Schachteln – das waren nur einige der nötigen Arbeitsschritte. Die Sicherung hat die Christian-Doppler-Klinik finanziert.
Der Zeitraum, über den sich diese Krankenakten erstrecken, reicht von 1850 bis 1969 (seither werden die Akten im hauseigenen Krankengeschichtsarchiv der SALK elektronisch archiviert). Was besonders interessant ist: Die Christian-Doppler-Klinik wurde ja erst 1898 gegründet. Der Aktenbestand der vorangehenden fünf Jahrzehnte wurde offenbar aus der „Irrenanstalt“ im Kammerlohrhof in Salzburg-Schallmoos übernommen.
Mit Gründung der „Irrenanstalt Kammerlohrhof“ (im heutigen Schallmoos) wurde ein erster Schritt gesetzt, psychisch leidende Menschen als Kranke zu sehen und psychische Erkrankungen mit den damaligen medizinischen Möglichkeiten zu behandeln. Mit Gründung der Landesheilanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Lehen wurde 1898 eine für damalige Verhältnisse moderne Nervenklinik gegründet. Trotzdem waren psychisch kranke Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen, die Aufenthaltsdauern im Vergleich zu heute extrem lang. Da Psychopharmaka noch nicht entwickelt waren, kamen arbeitstherapeutische und psychoedukative Behandlungsformen zur Anwendung. Im Grund ging es um die institutionelle Verwahrung psychisch Kranker bewusst außerhalb der Stadt Salzburg.
Die dunkelste Zeit in der Geschichte der Landesnervenklinik waren die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. In der T4–Aktion wurden 262 Patientinnen und Patienten der Landesheilanstalt und mindestens 115 Menschen aus der Pflegeanstalt Schloss Schernberg getötet, die meisten von ihnen im Schloss Hartheim.
Entsprechend schlecht beleumundet war die Landesheilanstalt nach dem Krieg, sie wurde weitgehend gemieden und hatte nur noch eine Auslastung von unter 50 Prozent. Heimo Gastager war es, der ab 1962 den „Salzburger Weg der Psychiatrie“ begründete und damit versuchte, die Landesnervenklinik von der „Endstation Lehen“ in eine moderne Akutpsychiatrie zu verwandeln. Gleichzeitig galt es, die Stellung von stigmatisierten psychisch Kranken in der Gesellschaft zu verbessern. In diesem Sinne erfolgte 1974 die Gründung von „Pro Mente Salzburg“. „Aus heutiger Sicht hat die Psychiatriereform in Salzburg die Situation psychisch Kranker deutlich verbessert, sodass wir heute vor dem nächsten großen Entwicklungsschritt stehen, nämlich am Übergang von der Integration zur Inklusion psychisch kranker Menschen“, so Primar Reinhold Fartacek, ärztlicher Leiter der Christian-Doppler-Klinik.
Fartacek hob hervor, dass diese Akten einer strengen Archivsperre unterliegen und mit einer unbefristeten Schutzfrist versehen sind. „Für die historische Forschung ist nur eine statistisch-anonyme Auswertung möglich. Grundlage dafür ist ein begründetes wissenschaftliches Interesse, beispielsweise über ein Forschungsprojekt, das eine Publikation als Ergebnis aufweisen kann“, so Oskar Dohle. (Landeskorrespondenz)