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Ein Brückenbauer – und schließlich doch ein Opfer

HINTERGRUND / STOLPERSTEINE / ADOLF ALTMANN

02/07/14 Nicht nur als Begründer der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg spielt der Rabbiner Adolf Altmann eine Rolle. Er hat auch die erste „Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg“ verfasst. Für Altmann wurde heute Mittwoch (2.7.) ein „Stolperstein“ verlegt. Der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer hat Altmann auf der Homepage der Aktion „Stolpersteine“ porträtiert.

Von Gert Kerschbaumer

Adolf (Abraham) Altmann, geboren am 8. September 1879 in Hunsdorf (Hunfalu, Huncovce), im damals oberungarischen Komitat Zips (heute Slowakische Republik), war Doktor der Philosophie, Rabbiner, Gründer der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und Verfasser der „Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg von den frühesten Zeiten bis auf die Gegenwart“. Rabbiner Altmann war ein religiöser Zionist und Menschenkenner, der es verstand, feinfühlig um die Anerkennung der Juden als religiöse Volksgruppe im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zu werben, Brücken zu bauen und dabei Andersgläubigen friedvoll zu begegnen. Tatsache ist jedoch ebenso, dass Rabbiner Altmann ein Opfer des Antisemitismus wurde, dem er in Wort und Schrift entgegenzuwirken versucht hatte.

Rabbiner Altmann war mit Malvine Weisz aus Kaschau (Kassa, Košice) verheiratet. Das Ehepaar hatte sechs Kinder: Alexander (Sandor), geboren am 16. April 1906 in Kaschau, Erwin, geboren am 20. Jänner 1908 in Salzburg, Hilda, geboren am 18. März 1909 in Salzburg, Manfred, geboren am 20. Oktober 1911 in Salzburg, Edith, geboren am 31. Juni 1913 in Salzburg, und Wilhelm, geboren am 1. April 1915 in Meran (Südtirol). Das Grab ihrer Tochter Edith, die in ihrem ersten Lebensjahr am 4. Februar 1914 in ihrer Geburtsstadt verstorben ist, befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Aigen bei Salzburg, der seit 1893 existiert und unter dem NS-Regime erheblich devastiert wurde.

Die nach österreichischem Recht in der Stadt Salzburg heimatberechtigte Familie Altmann wohnte seit August 1907 im Haus Faberstraße 11, dritte Etage, in einem der großstädtischen „Hellerhäuser“, die gleich wie die angrenzenden „Faberhäuser“ an der Rainerstraße in der Gründerzeit errichtet wurden. Im antisemitischen Salzburg galten die „Faber- und Hellerhäuser“ wegen ihrer Wiener Bauherren und ihrer zumeist wohlhabenden Mieter, darunter rund 24 jüdische Familien, als „Judenhäuser“. An der Lasserstraße, unweit der genannten Häusergruppen, befindet sich die 1901 errichtete Synagoge: Sitz der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, die im Friedensjahr 1911 unter ihrem Rabbiner Altmann gegründet werden konnte.

Dank der Initiative des seit 1867 in Salzburg ansässigen Antiquars Albert Pollak, der mit seiner Familie in einem der „Faberhäuser“ wohnte, hatten sich etliche jüdische Familien in Salzburg angesiedelt, wovon rund 50 das Heimatrecht erlangten. Albert Pollak gilt daher zu Recht als Begründer der jüdischen Gemeinde in Salzburg, die allerdings jahrzehntelang ein Nebenzweig der oberösterreichischen Kultusgemeinde war und erst dank der würdevollen Repräsentanz des Rabbiners Altmann, der stets seine Loyalität gegenüber dem Kaiser bekundete und in Salzburg durch das k. k. Landespräsidium große Wertschätzung erfuhr, eine selbständige, zur Führung von Geburts-, Trauungs- und Sterbematriken verpflichtete Körperschaft des öffentlichen Rechts werden konnte. Rabbiner Altmann widmete den ersten Band seiner „Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg“ dem „am 28. Mai 1911 gewählten Kultusvorstande der neu kreierten israelitischen Kultusgemeinde für das Herzogtum Salzburg« und speziell »dem ersten Israeliten der Neuansiedlung der Juden in Salzburg Herrn Albert Pollak, k. k. Hofantiquar, in Verehrung“.

Albert Pollak war Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Ihr erster gewählter Präsident war der Brennstoffhändler Ludwig Löwy, der mit seiner Familie in einem der „Hellerhäuser“ wohnte und dort auch seinen Firmensitz hatte. Ein Mitglied des Kultusrates war der Religionslehrer Gustav (Gutmann) Schwarz, der mit seiner Familie in einem „Faberhaus“ wohnte und dessen Tochter Bertha die Ehefrau von Hermann Kohn war, der seit Beginn des Rabbinats Altmann als Kantor der Salzburger Synagoge fungierte. Auch Hermann Kohn bekam den schon während der Monarchie in Salzburg schwelenden Antisemitismus zu spüren, dennoch gelang es ihm gemeinsam mit seiner Frau Bertha, im Haus Haydnstraße 10, wiederum nahe der „Faber- und Hellerhäuser“, ein bescheidenes Restaurant zu führen, das jüdischen Bürgern und Gästen der Landeshauptstadt koschere Speisen bieten konnte.

Die Israelitische Kultusgemeinde Salzburg besaß somit einen eigenen Friedhof, eine Synagoge mit anerkannten Repräsentanten und überdies ein Koscher-Restaurant: eine in der Friedensära der Monarchie Österreich-Ungarn gelungene Verortung des jüdischen Lebens in Salzburg. Der Frieden war allerdings nicht von Dauer. Der 1891 in Salzburg geborene Walther Kölbl, expressionistischer Maler und Fähnrich im k. u. k. Infanterie-Regiment Nr. 59 „Erzherzog Rainer“, war einer der ersten Juden aus Salzburg, die nach Ausbruch des Weltkrieges an den Fronten für „Gott, Kaiser und Vaterland“ starben.

Rabbiner Altmann, der den Monarchen Franz Josef anlässlich seines 60-Jahre-Regierungsjubiläums als Friedenskaiser gepriesen hatte, glaubte als loyaler Patriot, dass der Krieg der Monarchie aufgedrängt worden sei, daher ein Verteidigungskrieg sei. Außerdem verstand er wie so viele seiner Zeitgenossen den Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 als Treuebruch. In den vier Kriegsjahren war der weiterhin in Salzburg heimatberechtigte Dr. Altmann Rabbiner der jüdischen, zu Hohenems gehörenden Gemeinde Meran und zudem k. u. k. Feldrabbiner. Die Familie wohnte im Meraner Stadtteil Untermais, Villa Lauenburg, wo Wilhelm, das jüngste ihrer Kinder, am 1. April 1915 geboren wurde. Die Tätigkeit des Feldrabbiners Altmann in Südtirol ist dank seiner schriftlich festgehaltenen Kriegserinnerungen bekannt. Bemerkenswert ist seine Sammlung von 24 Autographen, darunter welche von Feldmarschällen und Erzherzögen, die den Patriotismus und die Tüchtigkeit von Frontsoldaten jüdischen Glaubens bezeugten. Damit versuchte Feldrabbiner Altmann dem während der andauernden Kriegsmisere kursierenden Gerücht entgegenzuwirken, „die Juden“ seien Drückeberger. Ihre Feinde in den eigenen Reihen hatten offensichtlich schon vor Kriegsende Sündenböcke gefunden.

Die Familie Altmann musste in Meran das Kriegsende und den Zusammenbruch des Habsburgerreiches und in Salzburg die Anfänge der Republik Österreich und somit den aggressiven Antisemitismus miterleben. Rabbiner Altmanns Sohn Manfred, einer der drei Shoah-Überlebenden der Familie, schreibt rückblickend über diese Phase seines Lebens:

Damals wohnten wir in einem schönen Haus am Mirabellplatz, das in verschiedene Notwohnungen eingeteilt war. Meine Geschwister und ich wurden in einige Szenen eines Mozartfilmes einbezogen, der im Mirabellgarten gedreht wurde. Aber die Stimmung in der jüdischen Gemeinde war getrübt. Die Angriffe in der Presse und im Alltag verstärkten die Sorgen. Mein Vater versuchte in seiner erprobten Weise auch öffentlich einzuschreiten und seine alten guten Beziehungen zu den Behörden, Schulen und zur Universität wieder zu beleben. Es zeigt sich aber ein großer Unterschied. Waren auch die Vorkriegsjahre nicht frei von ernsten Problemen unter dem Einfluss antisemitischer Kreise, so entwickelte sich in der Nachkriegszeit ein offener lügenhafter Kampf gegen die Juden. Wir Kinder waren sogar in der Schule davon betroffen.“

Seit Kriegsende war das Amt des Rabbiners in Salzburg vakant, weshalb Dr. Altmann gebeten wurde zurückzukehren. Er hatte aber nicht die Absicht lange zu bleiben. Im September 1920 wurde er zum Oberrabbiner von Trier berufen. In den fast 18 Jahren seines Wirkens in der wohl ältesten jüdischen Gemeinde Deutschlands war er, nach dem Urteil des Rabbiners und Gelehrten Leo Baeck, einer „der größten und edelsten Rabbiner und Führer des traditionellen Judentums seiner Zeit“.

Der 1911 in Salzburg geborene Manfred Altmann berichtete über die letzten Jahre seiner Eltern: „Mein Vater und meine Mutter, die sich seit ihrer Ankunft das Herz der Gemeinde durch ihr Verständnis und ihre Fürsorge gewonnen hatten, blieben trotz der großen Gefahr bis Ende März 1938 an der Spitze ihrer schwindenden Gemeinde in Trier. Sie flüchteten dann nach Den Haag in Holland, wo bereits ein großer Teil unserer Familie Zuflucht gefunden hatte. In der Emigration in Holland setzte mein Vater seine literarische Arbeit und seine Lehrtätigkeit fort. Aus Anlass seines 60. Geburtstages [am 8. September 1939] feierten ihn holländische Zeitungen in der ehrendsten Weise. Nach der Besetzung Hollands durch die Nazis im Jahre 1940 mussten meine Eltern nach Groningen ziehen, und von dort 1943 nach Amsterdam ins Ghetto. Der Rest des gemeinsamen Weges der beiden treuen Lebensgefährten führte in die Konzentrationslager Westerbork, Theresienstadt und am 16. Mai nach Auschwitz, wo beide ihr Ende fanden.“

Ehe beide ihr gewaltsames Ende fanden, verloren sie einen ihrer vier Söhne, ihre Tochter, ihren Schwiegersohn und ihre beiden Enkelkinder in den Gaskammern. Ihr jüngster Sohn, der in Meran geborene Wilhelm, Doktor-Ingenieur der holländischen Universität Delft, war 27 Jahre jung, als er bei seinem Versuch, sich der französischen Résistance anzuschließen, von der Gestapo verhaftet, vom Camp de Drancy nach Auschwitz deportiert und am 30. September 1942 ermordet wurde. Ihre in Salzburg geborene 34-jährige Tochter Hilda und ihr holländischer Ehemann Maurits (Max) van Mentz wurden am 7. September 1943 in Auschwitz ermordet, drei Tage danach ihre beiden in Den Haag geborenen Söhne, der 11-jährige Benedictus (Benno) und der 10-jährige Robert. Ihre Großeltern, die 62-jährige Malvine und der 64-jährige Rabbiner Adolf Altmann, wurden am 7. Juli 1944 in Auschwitz vergast.

Nach der Befreiung im Jahr 1945 mussten die Überlebenden feststellen, dass auch jüdische Friedhöfe, darunter der in Aigen bei Salzburg, von der Auslöschung nicht verschont blieben. Vergeblich war in Salzburg die Suche nach dem Grab des 1914 verstorbenen Kindes Edith Altmann. Drei Geschwistern war es aber gelungen, in die freie Welt zu flüchten und zu überleben: Dr. Alexander Altmann, Rabbiner in Manchester und Professor an der Brandeis University, Dr. Erwin Altmann, Direktor des öffentlichen Wohlfahrtswesens in Los Angeles, und Dr. Manfred Altmann, Jurist und Chairman of the Institute of Jewish Studies and Honorary Fellow of University College London, der 1999 in London starb.

Manfred Altmann registrierte anerkennend das Gedenken an seinen Vater in Trier und Salzburg, begrüßte auch dessen Würdigung durch Benennung von Straßen und die Initiative zur Neuauflage seiner „Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg“. Dank des überlebenden Sohnes konnten die Erinnerungen des k. u. k. Feldrabbiners erstmals 1993 veröffentlicht werden. An allen Aktivitäten in Salzburg zeigt sich, wie sehr sich Marko M. Feingold als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde bewusst ist, dass ihr Rabbiner und Gründer Dr. Adolf Altmann über alle politischen Brüche hinweg in Salzburg lebensbejahende Spuren hinterließ – ein ewiges Dennoch.

Bilder: Archiv Manfred Altmann, London

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