Lichtdurchflutet mit Schlagschatten
HINTERGRUND / HAUPTBAHNHOF (2)
12/07/12 Für DrehPunktKultur-Gastautor Norbert Mayr ist der neue Salzburger Hauptbahnhof, der morgen Freitag (13.7.) offiziell „teileröffnet“ wird, eine durchwachsene Angelegenheit. Entsprechend differenziert fällt seine Zwischenbilanz aus.
In den letzten Jahrzehnten vor dem Umbau wurde der Hauptbahnhof – verschärft durch mangelnde Betreuung – immer unwirtlicher. Die bald teileröffnete Neustrukturierung erstrahlt nicht nur aufgrund dieser Vorgeschichte. Neben Verlusten an wertvoller Bausubstanz gelangen funktionelle und ästhetische Verbesserungen.
Das Kernstück des Wettbewerbprojekts von kada-wittfeldarchitektur überzeugte von Anfang an: Die Architekten schlugen anstelle der verwinkelten Gangsysteme zu den Bahnsteigen einen breiten „urbanen Teppich“ unter den Gleisen Richtung Schallmoos vor, der einen Impuls für die Entwicklung der angrenzenden Stadtteile bilden sollte. Diese großzügige Passage mit beidseitiger Ladennutzung und viel Tageslicht von oben ließ eine angenehme, lichtdurchflutete Atmosphäre erwarten, welche die Architekten auch erreicht haben. Allerdings musste auf ÖBB-Wunsch die Schallmooser Passagenhälfte erheblich verschmälert werden. Eine möglichst großzügig gestaltete Passage – darüber gut verbunden ein mit öffentlichen und kulturellen Nutzungen weiterentwickelter Mittelbahnsteig als „multifunktionale hybride Gebäudestruktur“ – hätte das Potenzial der Passage als Verknüpfungsglied zweier Stadtteile massiv unterstützt.
Um den städtebaulichen Anspruch einlösen zu können, müssen nun andere Maßnahmen verstärkt werden. Positiv auswirken wird sich sicherlich die großzügige Gestaltung des Eingangs in Schallmoos. Die Architekten konnten dort ein prägnantes parabolisches Dach durchsetzen. Geplant sind zudem eine große Fahrradstation, eine Kiss&Ride-Zone sowie Bus- und Taxivorfahrt. Die fußläufige Nähe dieses Eingangs auch zum Andräviertel macht das alte Verständnis als reine Bahnhofsrückseite obsolet. Auch die Stadt muss diese Bewusstseinsveränderung unterstützen: Die Öffentlichen Räume und Straßen gehören – auch für den Fußgänger – aufgewertet und attraktiver gestaltet.
Weniger Glück war kada-wittfeldarchitektur mit seiner „Inszenierung von Geschwindigkeit“ im Bahnsteigbereich beschieden. Das Siegerprojekt von 1999 sollte – bei stark verschmälertem Bahnsteig – die Atmosphäre der Gates „moderner Flughäfen“ erzeugen. Als „identitätsstiftendes Element“ war eine zentrale Halle geplant, bei der Eisentragwerksbögen der abgerissenen Nord- und Südhalle als Versatzstücke Verwendung finden sollten. Den Übergang der „transparenten Hülle“ zu den "Gleisflugdächern" sollte eine in sich abgestufte Schalenkonstruktion erfüllen.
Alternativen zu diesem Totalabriss des Mittelbahnsteigs zeigte im Juli 2001 Gutachter Rolf Höhmann, er hielt eine attraktive Symbiose aus Alt und Neu sehr wohl für möglich. Die gründliche Expertise seines Büros für Industriearchäologie in Darmstadt erarbeitete drei Alternativvarianten, bei denen mehrere Durchgangsgleise gewonnen und der Denkmalbestand in situ erhalten wurden. Variante 3 zeigte die sinnvolle Verschränkung von Kadas „urbanem Teppich“ mit einem entrümpelten, attraktiv gestalteten Mittelbahnsteig. Das von den ÖBB beauftragte Gegengutachten lieferte der Restaurator der Max-Weiler-Wandbilder im Innsbrucker Bahnhof (November 2001), dem die Kompetenz in architekturspezifischen Denkmalfragen gänzlich fehlt.
Die Causa wurde anstelle eines Fachdiskurses im Bundesdenkmalamt (BDA) zur Chefsache. Präsident Wilhelm Georg Rizzi prüfte nicht die Behauptungen der ÖBB mit einem unabhängigen Gutachter, sondern erklärte 2005 in einem Schreiben an die ÖBB Infrastruktur Bau AG in lapidarem Konjunktiv: „Der Verzicht auf das Bahnsteigbauwerk dürfte unter den künftigen verkehrlichen und betrieblichen Anforderungen offenbar [sic!] unvermeidlich sein.“
In diesem verlustreichen Kompromiss von Mitte 2005 – Rizzi gab das gesamte Mittelgebäude mit Marmorsaal, Seitenhalle und Nebengebäude dem Abbruch frei – sollten die beiden Haupthallen ganz und in situ verbleiben. kada-wittfeldarchitektur sollte die notwendige Ergänzung bzw. Aussteifung dazwischen entwickeln. Im nächsten Schritt verzichtete das BDA auf die Erhaltung am originalen Standort, im letzten akzeptierte die Behörde, dass die Züge durch die neu an anderer Stelle wieder aufgebauten Hallen fahren konnten. Nun kann sich anstelle des Mittelbahnsteigs der Gleiskörper optimal ausbreiten, auf den ÖBB-Grundstücken an den Gleisrändern wurden zusätzliche Quadratmeter für lukrative Bebauungen geschaffen.
Am Ende des Prozesses hatte kada-wittfeldarchitektur zwei Hallen in den Neubau zu integrieren, die mit einem deutlichen Abstand auseinander gerückt wurden. Die beiden, von einem transparenten Membrandach gedeckten, historischen Eisenhallen wurden mittels ebenfalls transparenter Tonnensegmente zeitgemäß verlängert (ursprünglichen waren abgestufte Schalenkonstruktionen geplant). Das aus pneumatischen Luftkissen gebildete Dach wurde zwischen die gleisbegleitenden Flugdächer gespannt.
Die Computersimulationen der Architekten ließen zarte Flugdächer erwarten, sie sollten sich an die beiden feingliedrigen historischen Hallen „anschmiegen“ und dann elegant auslaufen: Sie traten mit den filigranen Eisenhallen ebenbürtig in Dialog, durch respektvollen Abstand gaben sie dem Denkmal „Luft“ und räumliche Entwicklungsmöglichkeit. Architekturkritiker K. D. Weiss nennt sie „Lichtschaufeln, die über den wartenden Passagieren zu fliegen scheinen“ .
Bedauerlicherweise sieht die Realität anders aus. Die Flugdächer landen hart in der gebauten Wirklichkeit. Die Leichtigkeit ist verschwunden. Dächer und Tragkonstruktion sind plumper geworden und wirken optisch schwer. Die beiden zentralen, zweigeschossigen Y-Stützen verschärfen die Monumentalität und Massivität der Neubauteile. Die zwar stattlichen, aber von feingliedriger Fragilität geprägten Eisenhallen – laut Architekten das „identitätsstiftende Element“ – können der mehrseitigen Bedrängung nichts an Masse entgegensetzen.
Die Architekten selbst formulierten folgendes Bild: „Das dynamische Raumgefüge aus neuer Bahnsteigüberdachung und historischer Bahnhofshalle interpretiert die vorhandenen Bewegungen der anfahrenden bzw. abbremsenden Züge und verleiht dem Bahnhof sein unverwechselbares Image.“ Der dynamische Schwung der Flugdächer wird leider dadurch beeinträchtigt, dass das Tonnensegment plump – auch von unten sichtbar – auf einer zu diesem Zweck buckelförmigen Dacherhebung aufliegt. Das wesentliche Ziel, dass die zeitgemäße Gestaltung mit den historischen Hallen in freundlichen Dialog tritt, wurde nicht erreicht.
Sehr attraktiv und gelungen verbanden kada-wittfeldarchitektur hingegen den neuen Bahnsteig durch großzügige Öffnungen mit der Erschließungs-Mall, die natürliches Licht erhält. Auch viele andere Details im Bahnhofensemble zeigen eine sehr ansprechende, zeitgemäße Formensprache. In der Empfangshalle beschränkte sich die Gestaltung der Architekten im Wesentlichen auf die Erdgeschoßzone. Dem Raumgefühl und der Aufenthaltsqualiät in der restaurierten bzw. teilrekonstruierten Halle ist der zur Passage abfallende Fußboden und die Betonung dieser Bewegungsrichtung nicht förderlich. Trotz dieses Transit-Charakters hat der Raum insgesamt mit seiner wiedergewonnenen Jugendstil-Gestaltung enorm gewonnen.
Trotz Harmoniegebots der Herausgeber des kürzlich bei Pustet erschienenen Buches „Der neue Salzburger Hauptbahnhof“ bemühte sich die Kunsthistorikerin Jana Breuste in ihrem Beitrag, die Ambivalenz vieler Entscheidungen anzudeuten. In einigen Buchbeiträgen wird hingegen versucht, konkrete denkmalpflegerische Knackpunkte zu umschiffen. Unbedarft ist die Behauptung des Architekturkritikers K. D. Weiss, dass 30 Jahre lang ein Bahnhofsumbau am Marmorsaal gescheitert wäre.
So verbindet die ambivalente Umbaugeschichte des Salzburger Bahnhofs Niederlagen und Erfolge. Im fachlichen Diskurs zeigen sich große Verluste, aber auch Erfreuliches. Die Architekten sehen die Neuordnung des Bahnhofs als „urbanes Verdichtungsprojekt, das nicht nur die Mobilität und den Komfort der Reisenden dient, sondern auch öffentlichen Raum schafft und Stadtteile miteinander verbindet.“ Mobilität und Komfort wurden erreicht, eine andere Dimension öffentlichen Raums wäre aber möglich gewesen. Die städtebauliche Dimension der Verbindung von Stadtteilen ist ein noch lange nicht abgeschlossener, spannender, hoffentlich erfolgreicher Prozess.