Kinder-Recht muss nicht „verdient“ werden
IM PORTRÄT / JOHANNA FELLINGER
20/06/24 „Starke Stimme und Lobby für alle jungen Menschen im Bundesland Salzburg.“ Johanna Fellinger ist Salzburgs neue Kinder- und Jugendanwältin. Von Gesellschaft und Politik wünscht sich Fellinger mehr Verständnis für Anliegen, Weltanschauungen und Subkulturen der Jugend. Besonders wichtig: „Jungen Menschen auf Augenhöhe begegnen.“
Die Vierzigjährige folgt als Kinder- und Jugendanwältin, Juristin und Mediatorin auf Andrea Holz-Dahrenstaedt, die zwanzig Jahre lang die weisungsfreie Einrichtung des Landes leitete. Johanna Fellinger hat am musischen Gymnasium in Salzburg maturiert und danach Rechtswissenschaften in Salzburg und Wien studiert. Ihre berufliche Erfahrung sammelte sie vor allem seit 2012 in der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Salzburg. Ab Februar 2021 war sie stellvertretende Amtsleiterin der Kinder- und Jugendhilfe in der Stadt Salzburg.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft setzt sich sei dreißig Jahren für bessere Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein. „Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten etliche Verbesserungen für junge Menschen erreicht werden konnten, gibt es nach wie vor viele kinderrechtliche Baustellen“, berichtete die neue Kinder- und Jugendanwältin bei einem Pressegespräch heute Donnerstag (20.6.). Konkret nennt Fellinger das „häufig mangelnde Bewusstsein für die Kinderrechte“, die mangelhafte Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und Defizite bei den Themen Chancengleichheit und Schule. Daher wollen sie und ihr Team besonders hier „Kräfte und Kompetenzen bündeln, um weitere notwendige Veränderungen anzustoßen und für gerechtere Lebensbedingungen zu sorgen“.
Dass es noch sehr viel Aufholbedarf in Sachen Kinderrechte gibt, weiß Fellinger aus eigener Erfahrung: Sie war in ihrer langjährigen Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe regelmäßig mit gravierenden Kinderrechtsverletzungen durch körperliche oder sexuelle Gewalt konfrontiert. Seit ihrem Wechsel in die Kinder- und Jugendanwaltschaft sei ihr bewusst geworden, so Fellinger, „dass Gesellschaft und Politik die Wirkungsbreite von Kinderrechten häufig nicht im Bewusstsein verankert“ hätten: „Kinderrechte werden oft als Privilegien verstanden, die „Kind“ sich erst verdienen muss.“ Dabei sind Kinderrechte was sie sind – eben ein Recht: „Vielen fehlt das Bewusstsein, dass etwa Demütigungen, Abwertungen, lächerlich machen oder in Furcht versetzen Formen von psychischer Gewalt darstellen und damit ebenso unter das allgemeine Gewaltverbot fallen“, erklärt die neue Kinder- und Jugendanwältin. „Allzu oft werden Kinder von oben herab behandelt und ihre Meinung nicht ausreichend berücksichtigt.“
Seit Jahren sind Probleme rund um die Schule, wie etwa Mobbing, Suspendierungen, psychische Belastungen oder zu hoher Leistungsdruck, Spitzenreiter bei den Beratungsfällen in der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Besonders gefordert sei die kija bei Mobbing, Bossing,
Cypermobbing: 499 Fälle seien im Vorjahr registriert worden: „Die personellen Ressourcen reichen fast nur noch für Interventionsangebote aus. Dringend wäre Präventionsarbeit“, sagt dazu die kija-Psychologin Janina Schönleben. Schulpsychologinnen, die nur alle zwei Wochen für eine Stunde vor Ort sind, könnten den den Bedarf nicht decken, würden daher auch nicht alsAnsprechperson wahrgenommen.
Die kija werde immer wieder mit der Meinung konfrontiert, dass man Kinder mehr über ihre Pflichten als über ihre Rechte belehren müsse. Dazu zitiert Johann Fellinger eine kija-Mitarbeiterin: „Das Gegenteil von Recht ist nicht Pflicht, sondern Unrecht. Und sind wir uns einig, dass wir Unrecht Kindern und Jugendlichen gegenüber alle nicht wollen.“ Defizite ortet die kija auch bei der gesetzlichen Verankerung der Kinderrechte: Zwar habe Österreich 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, von den rund vierzig Rechten der Kinderrechtskonvention seien bisher aber nur „eine Handvoll“ im Bundesverfassungsgesetz verankert worden. „Nicht umgesetzt wurden zum Beispiel das Recht auf bestmögliche Gesundheit, auf angemessenen Lebensstandard oder auf Spiel und Freizeit.“ Daraus resultieren zwei zentrale Forderungen der kija Salzburg: Die vollständige Umsetzung der in der UN-Kinderrechtskonvention enthaltenen Rechte in innerstaatliches Recht, „damit diese in Österreich unmittelbar gelten“. Und die Ratifikation des dritten Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention, „damit Kinder die Möglichkeit einer Individualbeschwerde an Sitz in Genf haben, wenn ihre Rechte verletzt worden sind“. (kija / dpk-klaba)
Bilder: kija Salzburg