Mit der Stimme eines blökenden Lämmleins
HINTERGRUND / 800 JAHRE WEIHNACHTSKRIPPE
22/11/23 „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“ Dieses Zitat aus Jesaja 1,3 erklärt, warum diese beiden Tiere in keiner Weihnachtskrippe fehlen dürfen. Das war schon bei Franz von Assisi so, als er vor achthundert Jahren die erste Weihnachtskrippe – im Wortsinn – ins Leben rief. Legende oder historische Begebenheit?
Von Reinhard Kriechbaum
„Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzugeführt“, berichtet Thomas von Celano (1190-1260) in seiner ersten Lebensbeschreibung des heiligen Franziskus. Ochs und Esel wohlgemerkt. Von Maria ist keine Rede, von Josef schon gar nicht. Bei diesem ersten „Krippentheater“, das der Heilige da am 24. Dezember 1223 nach allen Regeln effizienter Publicity aufzog, fehlte das heilige Paar.
Thomas von Celano, vermutlich Augenzeuge, zog in seiner Beschreibung alle Register. „Die Leute eilen herbei und werden bei dem neuen Geheimnis mit neuer Freude erfüllt. Der Wald erschallt von den Stimmen, und die Felsen hallen wider von dem Jubel. Die Brüder singen und bringen dem Herrn das schuldige Lob dar, und die ganze Nacht jauchzt auf in hellem Jubel... Der Heilige Gottes steht an der Krippe, er seufzt voll tiefen Wehs, von heiliger Andacht durchschauert und von wunderbarer Freude überströmt... Oft wenn er Christus 'Jesus' nennen wollte, nannte er ihn, von übergroßer Liebe erglühend, nur 'das Kind von Bethlehem', und wenn er 'Bethlehem' aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein... dann leckte er gleichsam mit der Zunge seine Lippen, indem er mit seinem glückseligen Gaumen die Süßigkeit dieses Namens verkostete und schlürfte.“
Wir müssen uns eine Art Krippenlegungsfeier unter Ur-Franziskanern vorstellen. Das Datum ist glaubwürdig. Einen Monat zuvor hatte Papst Honorius III. nach jahrzehntelangem Ringen zwischen Franziskus und der Kurie die endgültige Ordensregel mit Bulle bestätigt. Nicht alles war da nach Vorstellung des Ordensgründers gelaufen, aber immerhin war der Orden jetzt endgültig anerkannt.
Eine Zeit voller innerkirchlicher Spannungen. Im Jahr 1209 war Franziskus mit seinen ersten zwölf Gefährten – die Zahl hat er selbst oder sein Biograph wohl bewusst gewählt, um auf die zwölf Apostel anzuspielen – nach Rom gepilgert, um vom Papst die Bestätigung der Lebensweise ihrer kleinen Gemeinschaft zu erbitten. Das war in der Zeit der Ketzerkriege nicht leicht zu erreichen, weil die Gründung von neuen Armutsbewegungen in Rom mit äußerster Skepsis betrachtet wurden. Katharer/Albigenser, Waldenser, Humiliaten oder Brüder und Schwestern des freien Geistes wurden als häretisch eingestuft, die Katharer gar mit Waffengewalt ausgelöscht. Franziskus bezeichnete seine Bewegung als Buß- bzw. Wanderprediger. Das ging in Rom nach zähem Ringen durch. Jetzt also waren effiziente Werbemaßnahmen gefragt, und eine lebende Krippe bei einem offenbar bestbesuchten nächtlichen Gottesdienst schien Franziskus als geeignetes Anschauungsmaterial für jenes Leben in Armut und Bescheidenheit, wie es seine Ordensbewegung proklamierte.
Hat Franziskus die Weihnachtskrippe erfunden? Natürlich nicht. Darstellungen des Kindes in der Krippe finden sich schon in der Antike. Eine besonders anschauliche Darstellung ist in einen Sarkophag aus dem Jahr 385 gemeißelt, der sich jetzt in Sant’Ambrogio in Mailand befindet. Auch da das Kind in der Krippe, ohne Maria und Josef, sehr wohl aber mit Ochs und Esel. Man hat also recht bald auf den Propheten Jesaja und sein Bild von den beiden Tieren Bezug genommmen.
Die Gottesmutter kommt bildlich rund drei Jahrhunderte später ins Spiel. Da steckt eine andere Schrift dahinter, nämlich das vermutlich nach 600 entstandene Pseudo-Matthäus-Evangelium. Christen in der Spätantike haben die kargen Mitteilungen des Matthäus- und Lukasevangeliums ausgeschmückt. „Am dritten Tag nach der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und ging in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe, und ein Ochse und ein Esel beteten ihn an.“
Gewaltigen Input bekamen Krippendarstellungen durch die Initiative des Franz von Assisi. Im 13. Jahrhundert, als sein Biograph Thomas von Celano die erste Vita des Heiligen schrieb (er war nicht nur Weggefährte, sondern auch bei der Heiligsprechung 1228 dabei), hatten Heiligengeschichten Hochkonjunktur. Damals entstand ja auch die Legenda aurea, eine Fundgrube für solche Histörchen. Über Jahrhunderte bestimmten diese Erzählungen die christliche Ikonographie.
Thomas von Celano, der sich 1215 dem Ordensgründer angeschlossen hatte, hat im Lauf seines Lebens drei Biographien über Franz von Assisi und eine über dessen Schwester, die heilige Klara verfasst. Er war wesentlich an der Verbreitung des Franziskanerordens im deutschen Sprachraum beteiligt und wurde Kustos für die Franziskaner-Niederlassungen in Mainz, Worms, Köln und Speyer eingesetzt.
Für Franziskus' Zeitgenossen hatten nicht nur das Jesuskind, Ochs und Esel Bedeutung. Thomas von Celano, ein begnadeter Propagandist, berichtet: „Das Heu, das in der Krippe gelegen hatte, bewahrte man auf, damit der Herr, der sein heiliges Erbarmen gar mannigfach erzeigt, Pferde und andere Tiere dadurch heile. Und so geschah es in der Tat, dass in der umliegenden Gegend viele Tiere, die verschiedene Krankheiten hatten, von diesen befreit wurden, wenn sie von dem Heu fraßen. Ja, auch Frauen, die unter schweren und lange dauernden Geburtswehen zu leiden hatten, ließen sich von dem Heu auflegen und konnten dann glücklich gebären. Auch erlangten nach Greccio strömende Pilger beiderlei Geschlechtes die ersehnte Heilung von verschiedenen Unglücksfällen.“
Im Bergdorf Greccio im Norden von Rom (Latium) baute man alsbald ein Franziskanerkloster. Die Grotte, in der das Krippentheater des heiligen Franziskus stattgefunden hat, kann man noch heute besichtigen. In diesen Tagen ist das Gedränge dort gewiss unbeschreiblich.