Von Ornstein zu Thalhammer
HINTERGRUND / STOLPERSTEINE
13/09/23 Im März 1938 endete die Erfolgsgeschichte des Salzburger Kleiderhauses L. Ornstein. Den vier Mitgliedern der Familie – Helene, Richard, Rudolf und Robert – gelang unter besonderen Gefahren die Flucht in die USA. Für sie wurden heute Mittwoch (13.9.) in der Getreidegasse Stolpersteine verlegt.
Die jüdische Familie Ornstein, deren Bekleidungsgeschäft sich im Herzen der Salzburger Altstadt befand, war eine der erfolgreichsten Unternehmerfamilien in dieser Stadt. Die Orsteins waren allerdings bereits in den 1920er-Jahren antisemitischer Hetze ausgesetzt – Ziel war die wirtschaftliche Existenz aller Jüdinnen und Juden zu vernichten und sie mittellos aus ihrem Land zu vertreiben. Die Gründergeneration musste folglich den aggressiven Antisemitismus – Neid, Hass, Habgier – noch erleben.
Die Ornsteins waren eine von rund fünfzig jüdischen Familien, die noch während der Österreichisch-Ungarischen Monarchie von 1867 bis 1918 das „Heimatrecht“ der Stadt Salzburg erwerben konnten. Luser Nisson Ornstein, der 1870 im österreichischen Kronland Galizien (heute Ukraine) geborene Vater der vier Kinder, führte im Salzburger Geschäftsleben einen deutschen Vornamen: Ludwig. Am 30. Juni 1914, knapp vor Beginn des Ersten Weltkrieges, eröffnete Luser Nisson Ornstein sein Kleiderhaus L. Ornstein im Haus Getreidegasse Nr. 24. Die Familie wohnte im zweiten Stock. Luser Nisson Ornstein war einer der erfolgreichsten Salzburger Kaufleute während der Monarchie. Nach deren Zerfall war er zweieinhalb Jahre Präsident der kleinen Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg.
Ornstein und Schwarz, zwei jüdische Geschäfte in der Salzburger Altstadt, stehen erstmals am 10. September 1923 an oberster Stelle einer Boykott-Liste, die der Antisemitenbund in seinem Hetzblatt Der Eiserne Besen publizierte – mit dem bekannten Ziel. Caroline Ornstein starb am 12. August 1927, ihr Ehemann Luser Nisson am 12. April 1928, beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Aigen bestattet. Deren Kinder, die Geschwister Robert, Rudolf, Richard Ornstein und Helene Neuwirth, erbten das Anwesen in der Getreidegasse.
Das Kleiderhauses L. Ornstein war am 24. Juni 1933 und ein weiteres Mal am 4. Februar 1934 – während des Verbotes der nationalsozialistischen Partei in Österreich – Ziel von Terroranschlägen mit erheblichem Sachschaden. Die Täter konnten sich in das nahe nationalsozialistische Deutschland absetzen.
1938 wurde das Geschäftshaus vom Konkurrenten und Nationalsozialisten Kurt Thalhammer übernommen, der in einem halbseitigen Zeitungsinserat beteuerte, „die Firma L. Ornstein […] als arischen Betrieb den Erfordernissen der Gegenwart entsprechend“ zu führen. Die meisten Familienmitglieder waren zu dem Zeitpunkt bereits in alle Himmelsrichtungen geflohen. Haus und Geschäft wurden 1948 an die Geschwister Ornstein/Neuwirth restituiert und wiedereröffnet, 1957 schloss die in den USA lebende Familie das Unternehmen. Unter dem Namen Thalhammer bestand das Textilhaus bis zum Konkurs 1999 weiter.
Sichtbar wird auf dem jüdischen Friedhof jedoch weder die Vertreibung noch das gewaltsame Ende von Familienmitgliedern: Klara Chaje Grünhut, die eine Zeit lang im Haus Getreidegasse 24 wohnte, und ihr Bruder Max Moses Neuwirth, dessen Ehefrau Henriette und Tochter Gisela, die bis zum Pogrom im November 1938 in Salzburg lebten, sind Opfer der Shoah.
Auf der Website der Stolpersteine schildert der Historiker Gert Kerschbaumer akribisch die Geschichte der Vertreibung und auch das Schicksal der Familienmitglieder danach.
Den Stellenwert der Ornsteins in Salzburg illustriert eine Geschäftsreise von Richard Ornstein (des jüngsten der Geschwister) in die USA. Darüber konnte man 1930 im Salzburger Volksblatt lesen: „Es dürfte noch nicht allen bekannt sein, daß das heimische Großkonfektionshaus L. Ornstein, Getreidegasse Nr. 24, Erzeuger der allgemein beliebten Lodenmäntel Marke 'Wetterfest', die größte Lodenmantelfabrik Österreichs ist. Der Teilhaber dieser Firma, Herr Richard Ornstein, ist Mitte April mit der 'Europa', dem bekannten Rekordschiff der Norddeutschen Lloyd, nach Amerika gereist, um auch dort die Marke 'Wetterfest' einzuführen und zu propagieren. Nunmehr liegen bereits die ersten Bestellungen vor. Die Original-Ordres sind im Schaufenster des Kleiderhauses Ornstein zur Ansicht ausgehängt.“ Ob der Lodenmäntel florierte das Unternehmen sogar in den wirtschaftlichen Krisenjahren.
Im Gesellschaftsleben der Stadt Salzburg wurde bloß einer aus dieser jüdischen Familie wahrgenommen: Richard Ornstein als Mitglied der illustren Salzburger Reitervereinigung und als Turnierreiter. Er gewann Springturniere und zählte zur Reiterelite Österreichs. Sein zionistisches Engagement drang hingegen nicht an die Öffentlichkeit. Akribische Recherchen zeigen, dass auch Richards Bruder Rudolf und seine Frau Edith aktive Mitglieder der Zionistischen Ortsgruppe Salzburg waren. Rudolf und Richard waren Vorsitzender bzw. Schriftführer bis zur Auslöschung im März 1938. Eines der Vorhaben ließ sich noch 1937 realisieren: die Eröffnung einer jüdischen Bibliothek in der Synagoge durch den Rabbiner Samuel Margules. Damals schenkte Stefan Zweig bei der Räumung seines Hauses Kapuzinerberg der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg 140 Bücher – Grundstock der jüdischen Bibliothek, die im Gewaltjahr 1938 spurlos verschwand und in Vergessenheit geriet.
Bei der heuer 17. Verlegung von Stolpersteinen (seit 2007) wurden dreizehn neue Steine verlegt. (Stolpersteine/Gert Kerschbaumer/dpk-krie)
Derzeit gibt es in Salzburg 506 Stolpersteine – Über das Schicksal der Familie Ornstein; www.stadt-salzburg.at – www.stolpersteine-salzburg.at
Bilder: Stadtarchiv / www.stadt-salzburg.at