Beinah an Fäden anstatt am Marterpfahl
HINTERGRUND / MARIONETTENTHEATER
24/11/22 Es ist ein Thema, an dem politisch korrekte Menschen heutzutage nicht mehr freiwillig anstreifen. Winnetou! Gerade eben hat der Ravensburger Verlag sein Fett abgekriegt, weil er ein Buch und Spielmaterial zu einem neuen Kinderfilm veröffentlicht und gleich wieder zurückgezogen hat.
Von Reinhard Kriechbaum
Winnetou zwischen Zauberflöte, Nussknacker, Peter und der Wolf und Rotkäppchen im Salzburger Marionettentheater? Stellen wir uns die augenblicklich losbrechende Schlacht zwischen Karl-May-Sympathisanten und Menschen mit geschärftem Bewusstsein für die wahre Geschichte der Indianer (zu denen man jetzt korrekt Erste Amerikaner*innen sagt) vor. Zu arg, was nicht nur in den Winnetou-Bänden von Karl May an europäischer und damit verwerflicher Sicht auf die Geschehnisse im Wilden Westen steckt.
Und doch wäre Winnetou um mein Haar an den Fäden der Salzburger Marionettenspieler gehangen. Aber das ist schon sehr, sehr lange her. In der ersten Hälfte der 1940er-Jahre, also während dem Zweiten Weltkrieg, kam man im Salzburger Marionettentheater auf die Idee, „Winnetou“ ins Repertoire aufzunehmen. Das kann man nachlesen im soeben erschienenen zweiten Band der Buchreihe Karl May auf der Bühne aus dem Karl-May-Verlag Bamberg. Im Frühjahr 1942 interessierte sich Hermann Aicher dafür, Karl May zu inszenieren – darauf stießen die Autoren des Bandes, Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke, im Zuge ihrer Recherchen und Archivauswertungen. Nichts Genaues weiß man nicht, aber das Vorhaben ist jedenfalls nicht zustande gekommen. Vielleicht aus finanziellen Gründen.
Karl May auf der Bühne soll eine vierteilige Buchreihe werden, das Thema gibt ganz offensichtlich viel her. Band zwei umfasst unter anderem die einschlägige österreichische Bühnengeschichte bis 1951, wozu eben auch Planungen und Projekte gehören, wie jenes im Marionettentheater. Hierorts wurde nichts draus, anderswo schon. So sorgte bereits 1928 in der Wiener Renaissance-Bühne eine Winnetou-Inszenierung für Aufsehen. In den folgenden Bänden werde, so heißt es, Österreich noch ein paar Mal zur Sprache kommen. Winnetou ritt später in der Wiener Stadthalle oder in Winzendorf vor den Toren Wiens. 2002 war in Salzburg auf der Waldbühne Aigen ein satirisch gefasster Winnetou zu sehen. Ob's den theatralen Karl-May-Lordsiegelbewahrer nun passt oder nicht: An Bully Herbig und seinem Film Der Schuh des Manitu werden sie ja auch nicht herumkommen und damit wohl auch nicht um die Bühnenadaption im Salzburger Landestheater im Vorjahr.
Bereits seit den 1950er-Jahren haben Karl-May-Festspiele von Bad Segeberg bis Elspe Tradition. Mehr als zehn Freilichtbühnen im deutschsprachigen Raum bieten derzeit solche Aufführungen. Stars wie Pierre Brice, Alexander Klaws, Gojko Mitic, Wayne Carpendale oder Claus Wilcke hauchten Karl Mays Figuren in zahlreichen Bühnenfassungen Leben ein. Und begonnen hat das eben nicht erst mit Freiluftbühnen, sondern in Theaterhäusern. Die Bühnengeschichte reicht zurück bis zu Karl Mays Lebzeiten (der Autor starb 1912). „Winnetou & Co. waren bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Dauerbrenner auch an Theaterhäusern – mit Akteuren wie Will Quadflieg, Hans Otto und Paul Klinger, und das quer durch den deutschsprachigen Raum“, heißt es in einer Aussendung des Karl-May-Verlags.
Seit 1958 spielt man in Elspe im Sauerland. Der Erfolg dort hat sich vor allem eingestellt, als Film-Winnetou Pierre Brice ab 1976 sein Comeback feierte. Doch Karl-May-Festspiele gab es in den 1960er- und 1970er-Jahren auch in Mülheim an der Ruhr, Dinslaken oder Cuxhaven. Seit den 2000er-Jahren hat sich in Süddeutschland eine Karl-May-Festspielszene entwickelt, angefangen im bayrischen Dasing, wo Winnetou erstmals 2004 losritt. 2014 folgten die Festspiele in Burgrieden (Baden-Württemberg), wo Winnetous Tod im vergangenen Sommer für Furore sorgte.
Bernhard Schmid, Geschäftsführer des Karl-May-Verlags: „Die aktuellen Erfolge der Festspiele in Bad Segeberg und Elspe zeigen uns, dass es möglich ist, nach wie vor auch ein jüngeres Publikum für Karl May zu gewinnen.“ Was die politisch Korrekten von dieser Ansicht halten, da brauchen wir nicht lange nachfragen... Pikanterie am Rande: Das Fan-Buch zum Film Der junge Häuptling Winnetou und anderes rund um den Kinderfilm gibt’s jetzt statt bei Ravensburger im Karl-May-Verlag. Dank des Aufschreis der Erregten also beim Schmied und nicht beim Schmiedl.
Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke: „Karl May auf der Bühne“, Band 2, Karl-May-Verlag Bamberg/Radebeul 2022, 400 Seiten, 60,70 Euro – www.karl-may-auf-der-buehne.de, www.karl-may.de
Bilder: Karl-May-Verlag
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