Lieber ein "ewiges Kind" sein
INTERNATIONALE PÄDAGOGISCHE WERKTAGUNG
19/07/10 Binden und loslassen, Sicherheit geben und damit jungen Menschen eigene Erkundungen des Lebens ermöglichen: Letztlich läuft sinnvolles Erziehen immer auf dieselben Dinge hinaus.
Was für den Psychotherapeuten gilt, ist auch Muster für Pädagoginnen und Pädagogen. In einem der Referate bei der 59. Internationalen Pädagogischen Werktagung erklärte der Salzburger Jugendpsychiater Primar Leonhard Thun-Hohenstein, warum Bindung die Basis für gute Therapie ist: „Die Funktion des Therapeuten ist es, präsent zu sein und Antworten zu geben, damit sich das Kind in seiner Gefühlswelt orientieren kann. Am Anfang der therapeutischen Beziehung gelte es, ein gemeinsames Interesse zu schaffen und für Sicherheit und Vertrauen zu sorgen. Das Ziel sei die Selbstbestimmung, die aber erst durch die Zunahme von Kompetenz und herausfordernden Bedingungen - die wiederum eine Verhaltensänderung erfordern - wachsen müsse. In Belastungssituationen sei das Bindungsverhalten viel höher als bei Sicherheit und Wohlbefinden. Ein wichtiger Aspekt, der natürlich nicht nur für die Psychotherapie, sondern auch im alltäglichen Umgang mit Kindern gilt.
So wird beispielsweise durch Angst das Bindungsbedürfnis aktiviert, wie der Münchner Psychiater Karl Heinz Brisch erläuterte. Am besten für das Kind sei ein Netzwerk von Bindungspersonen hat, wobei die Hauptbindungsperson in schwierigen Situationen als „emotionaler Hafen“ agieren kann. Hat das Kind „keinen Hafen“ wird es ständig mit „starkem Seegang“ konfrontiert sein.
„Viele denken, das Kind müsste möglichst schnell autonom werden“, meinte Brisch. „Das Erkundungsbedürfnis wird aber erst aktiviert, wenn das Bindungsbedürfnis erfüllt ist.“ Um die Bedürfnisse des Kindes einschätzen zu können, müsse man feinfühlig sein, was bereits beim Säugling beginnt. Denn gerade ganz kleine Kinder hätten ein sehr geringes Stress-Toleranz-Fenster. Durch eine gute Bindung lerne das Kind mit der Zeit immer besser, den Stress selbst zu regulieren.
Es werden demnach schon sehr früh Grundsteine gelegt, wie sich das Kind später entwickeln wird. Die Forschung zeigt, dass Kinder mit einer sicheren Bindung eine bessere Sprachentwicklung haben, kreativer sind, rascher Lösungsmöglichkeiten in schwierigen Situationen finden und sich besser in die Gefühle anderer Menschen hineinversetzen können.
„Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden“, schrieb der Autor Francois Rabelais schon vor 500 Jahren. Der Hamburger Erziehungswissenschafter und Journalist Reinhard Kahl stellte seinen Vortrag unter dieses Motto und führte aus, warum die Verführung, „Fässer zu füllen“ groß ist. „Anstatt, dass man eine Kultur des Verknüpfens herstellt, wird oft gesagt, das braucht ihr fürs spätere Leben“, meinte der Grimme-Preisträger. „Es wird also mit dem späteren Leben gedroht. Besser wäre doch eine Einladung in die Welt.“
Als Albert Einstein einmal gefragt wurde, wie er sich seine großen Leistungen erkläre, antwortete er, dass er immer das ewig ein Kind geblieben sei. „Das ewige Kind“ zu stärken und zu kultivieren, ist ein möglicher Weg, dem „falschen Erwachsenwerden“ entgegen zu wirken. (Katholisches Bildungswerk)