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Es drohen fünfzig Jahre Verspätung

IM WORTLAUT / RAUCHMÜHLE (1)

20/05/19 Reinhold Tritscher, Leiter des Theater ecce, ist ein Urgestein der freien Szene. Über die Jahre hat er sich persönlich stark gemacht für das Projekt. Nun, da die Stadt das die Rauchmühle als Ort auch für die Kultur nicht mehr weiter verfolgen möchte, hat er einen Offenen Brief an Bürgermeister Harald Preuner (ÖVP) und Vizebürgermeister Bernhard Auinger (SPÖ) geschrieben.

Von Reinhold Tritscher

Mit großem Bedauern habe ich vernommen, dass Sie das Projekt „Rauchmühle“ gestoppt haben und möchte Sie herzlich ersuchen diesen Entschluss zu überdenken, den Dialog mit den Betroffenen - und möglicherweise doch noch eine Lösung - zu suchen. Ich halte grundsätzlich die Kulturpolitik und -verwaltung der Stadt Salzburg für eine gut entwickelte und vernünftige (Allerdings sollte man nicht Gefahr laufen, sich darauf auszuruhen.) und möchte im Folgenden etwas ausführlicher begründen, warum ich Sie ersuche, Ihren Standpunkt zu überprüfen.

Da ist zuerst einmal die persönliche Enttäuschung, viel Zeit und Energie in ein Projekt gesteckt zu haben, das jetzt mit einem Federstrich ohne weitere Diskussion ad acta gelegt wird. Ich selbst habe mein Engagement in diesem Projekt bereits vor einiger Zeit zurückgenommen, weil ich von Ihnen Herr Preuner trotz dreimaligem Versuches einen Termin zu diesem Thema zu bekommen und Zusicherung Ihrer Mitarbeiter, dass sie sich diesbezüglich melden würden, nichts gehört habe. Das finde ich schade, weil ich mir viele Gedanken über das Projekt gemacht habe und diesbezüglich seit 2014 mehr als 50 Gesprächstermine wahrgenommen, einen eigenen Konzeptentwurf vorgelegt und mich an der sehr professionell und offen geführten Konzeptentwicklung der Stadt Salzburg beteiligt habe. Mehrfach auf Wunsch und Ersuchen der Stadt Salzburg.

Das und auch die Tatsache, dass wir (die „freien“ Tanz – und Theatergruppen der Stadt Salzburg) endlich die Perspektive auf entsprechende dringend benötigte Probenräume vor Augen hatten, würde mich aber noch nicht veranlassen, einen offenen Brief zu verfassen. Flächen für Probenräume lassen sich auch woanders finden. Ich gehe ja davon aus, dass sie an einer Umsetzung des Kulturleitbildes der Stadt Salzburg interessiert sind.

(siehe dazu Kulturleitbild der Stadt Salzburg: S.17, Maßnahmen, Handlungsbedarf,….“: … Zudem zeigt sich für alle Sparten der dringende Bedarf an geeigneten und leistbaren Proben- und Arbeitsräumen mit angeschlossener Lagermöglichkeit. Arbeitsraumbedarf besteht insbesondere für freie Theater- und Tanzgruppen, Chöre, Volksmusik-gruppen, Migrantinnen-/Migrantenkulturvereine sowie bildende Künstlerinnen und KünstlerInnen…)

Ich finde es vielmehr schade für die Stadt Salzburg, dass sie sich meine Gedanken – und die vieler anderer „gemeinwesenorientierter“, konstruktiv arbeitender KünstlerInnen – zum Thema „community arts und Offenes Probenhaus“ nicht einmal anhören wollten, weil sie sich dabei vielleicht der Chance beraubt haben, ein für Salzburg zukunftsweisendes und einzigartiges Projekt entstehen zu lassen. Ein Projekt, das weit über die Mauern des Gebäudes hinaus, in die Gedanken und Lebenswelten der tausenden in unmittelbarer Umgebung wohnenden Menschen bis ins Zentrum der Stadt hineinwirken könnte. (hätte können)

Ein kleines Anschauungsbeispiel: An der Schauspielschule Mozarteum entsteht glücklicherweise gerade ein neuer Masterstudiengang "Applied Theatre – künstlerische Theaterpraxis und Gesellschaft", (weil eine Schauspielschule – mit einigen Jahrzehnten Verspätung künstlerische Trends, die von freien Gruppen und Projekten gesetzt werden, irgendwann aufgreifen muss.) Bis deren Absolventen ihr Wissen in die Theaterwelt tragen, werden weitere 5-10 Jahre vergehen, bis dieses Wissen in Salzburg angewandt wird, weitere 10 Jahre. Das heißt Kunstformen, die in London, Amsterdam,…..etc seit 30 Jahren „State oft the Art“ sind, werden in Salzburg mit 50 Jahren Verspätung ankommen. (Würden diese Formate in den unterschiedlichsten Sparten nicht seit Jahrzehnten meist schlecht dotiert von freien Gruppen und Projekten abgedeckt, wäre Salzburg hoffnungslos erstarrt.) Was 50 Jahre Verspätung für die „Kulturstadt Salzburg“ bedeuten brauche ich nicht weiter auszuführen.

In sehr seltenen Fällen greifen die Salzburger Festspiele Entwicklungen auf – aber als Internationales Festival können sie zu wenig kontinuierlich in die Stadt hineinwirken.

Viel schlimmer ist aber, dass durch diese Entwicklung bereits jetzt der größte Teil der jungen, kreativen, begabten Menschen so schnell wie möglich dieser Stadt den Rücken kehrt und damit auch ihr Potential der Stadt nicht mehr zur Verfügung steht.

Gerade die freien Projekte sind es, die sich mit drängenden Problemen unserer Zeit und unserer Gesellschaften auseinandersetzen (und hier vor allem junge, noch nicht in Strukturen gefangene KünstlerInnen und Kollektive). Mit der Rauchmühle ein Zentrum, einen Treffpunkt zu schaffen, wo sich diese Gruppen mit bereits etablierteren KollegInnen unweigerlich treffen, wo sich unterschiedlichste Sparten und Menschen aus der Kreativwirtschaft begegnen, inmitten eines der am dichtesten besiedelten Stadtteile, das hätte Dynamiken ermöglicht, von denen alle Gesellschaftsschichten und Bereiche (Kunst und Kultur, Wissen, Soziales, Jugend, Bildung, Gesundheitswesen, SeniorInnen, MigrantInnen,…) nur profitieren hätten können, das hätte Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten schaffen können, die anziehend wirken und unkonventionelles Potential in der Stadt halten und ungeahnte Perspektiven eröffnen können.

Wenn dieses Projekt endgültig stirbt, wird Salzburg wieder einmal seinem Ruf gerecht biedere „altbackene Kulturstadt“ für Reiche zu sein und aktuelle Entwicklungen zu verschlafen. Besonders aber verpasst es die Chance langfristig mit künstlerischen Prozessen und Interventionen mitzuhelfen, gesellschaftliche Konfliktfelder zu bearbeiten und zu entschärfen und so zu einer lebenswerten Stadt beizutragen.

2014 habe ich das erste Mal öffentlich in einem Pressegespräch darauf hingewiesen, dass es auf dem Gelände der Rauchmühle die einmalige Chance gäbe ein „Zentrum für community arts“ und Probenräume für freie Gruppen zu errichten. Diese Idee wurde vom damaligen Bürgermeister Schaden aufgegriffen, geprüft und in Angriff genommen.

Das Konzept wurde zum Teil übernommen und im Lauf der Zeit verändert. Es hätte aber immer noch genug Raum für Entwicklungsmöglichkeiten offengelassen. Wenn Sie das Projekt aus Kostengründen fallenlassen, ohne mit den anderen Parteien und den Betroffenen ausführlichen Dialog zu führen, zeugt das meines Erachtens nicht von besonders großem Mut und ist nicht zum Nutzen für die Kulturstadt Salzburg.

Bilder: dpk-krie
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