Händel- statt Mozart-Ensemble?
FESTSPIELE / OPERNBILANZ
Von Heidemarie Klabacher
24/08/12 Ein Mozart-Ensemble, möglichst schon im Vorfeld „legendär“: Jeder Festspielintendant in Salzburg träumt davon. Gelegentlich entwickelt sich ja eine Gruppe „zusammengekaufter“ Stars zu einem Ensemble, das die Zeit stehen bleiben lässt. So etwa beim Harnoncourt/Guth’schen „Figaro“ in der Urfassung 2006 in der Ära Ruzicka, aber auch in der Regie-Überarbeitung aus 2011 in der Ära Hinterhäuser.
2012 war dem neuen Intendanten Alexander Pereira und seinem Publikum ein echter Mozartwurf (noch?) nicht gegönnt, wohl aber eine sängerisch immerhin solide bis hervorragende „Zauberflöte“. Es war wiederum Nikolaus Harnoncourt der das „Singspiel“ zur musikalischen Tiefenanalyse transzendiert hatte.
Dafür, dass der Text der Zauberflöten-Fortsetzungsstory zwar von Schikaneder, die Musik aber nicht von Mozart ist, kann der Intendant nichts. Es war jedenfalls ein reizvoller und mutiger Gedanke, eine unbekannte Oper eines no-name Zeitgenossen Mozarts ins Programm zu nehmen. Die Festspiele haben immerhin eine eigene Aufführungsfassung aus dem über mehrere Archive verteilten Notenmaterial herstellen lassen müssen. Dass weder die Regie noch die Sänger überzeugt haben, war großes Pech. Vielleicht kann man sich für solche Projekte in Zukunft das „Mozart-Ensemble“ ausleihen. Ivor Bolton und das Mozarteumorchester haben heuer jedenfalls für vieles entschädigt.
Am nächsten kamen diese Festspiele einem „Mozart-Ensemble“ in der konzertanten Wiedergabe von „Il Re Pastore“, die freilich eine Quasi-Übernahme von den Zürcher Opernfestspielen 2011 (inklusive Kostümen) gewesen ist. Salzburg soll nicht Zürich werden, betont (sinngemäß) Alexander Pereira immer wieder. Warum denn nicht, ist man versucht zu sagen. Dort scheint Pereira dem Mozart-Ensemble-Ideal immer wieder nahe gekommen zu sein.
„La Bohème“ mit Anna Netrebko und Piotr Beczala in den „Haupt-“ und einen nicht minder großartigen Ensemble in den „Nebenrollen“ war sängerisch erwartungsgemäß „festspielwürdig“, hat einen insgesamt aber völlig kalt gelassen. Die gigantische – wahlweise glitzernde oder trostlose – Leere, die Damiano Michieletto auf die Bühne gebracht hat, hat sich schlicht und einfach auch im Herzen ausgebreitet.
Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ trägt den Hang zum Gigantomanischen schon in sich. Ob man das Stück wirklich aufführen muss? Bei allem Übermaß im Orchesterapparat und bei aller Vielschichtigkeit und Komplexität der Komposition ist das Werk rein musikalisch wenig ergiebig. Dennoch war die aktuelle Produktion überwältigend: Dirigent Ingo Metzmacher kennt die Musik Zimmermanns wie kaum ein Zweiter (und ist ohnehin einer der Experten für Zeitgenössische Oper). Die Sängerinnen und Sänger bildeten ein hervorragendes „Zimmermann-Ensemble“. Regisseur Alvis Hermanis brauchte weder Kosten noch Mühen zu scheuen. Herausgekommen ist die bei weitem eindrucksvollste, stimmigste Produktion dieses Sommers.
Die zweite Produktion, die auf jeden Fall als Ganzes auf der Haben-Seite des Festspielsommers zu verbuchen ist: Die "Ariadne", in der wieder zum Leben erweckten, aber eben auch charmant überarbeiteten Originalfassung. Handverlesen in der Sänger- und Schauspielerbesetzung - auch das ein Signal, wie Festspiele eben über den Alltag hinaus programmieren können.
Zeitgenössische Oper soll – neben dem noch zu entwickelnden Mozart-Ensemble – ein Merkzeichen der Ära Pereira werden: Für heuer hatte niemand eine Oper fertig in der Schublade, so kam es zu den „Soldaten“. Für die nächsten Jahre habe er Kompositionsaufträge vergeben, bestätigte Alexander Pereira jüngst bei einem Pressegespräch: für 2013 an György Kurtag, für 2014 an André Dalbavie, für 2015 an Thomas Adés und für 2016 an Jörg Widmann. Das ist immerhin eine echte Programm-Säule.
„Carmen“, eine Übernahme von den Osterfestspielen, hat man Intendant Pereira, der schwer gegen Wiederaufnahmen ist, auf’s Aug’ gedrückt. Mit den Wiener statt mit den Berliner Philharmonikern ist die Aufführung deutlich überzeugender, weil musikantischer, ausgefallen.
Bleibt ein viel zu wenig als solcher beachteter Händel Schwer- und Höhepunkt dieser Festspiele: „Giulio Cesare in Egitto“, eine Übernahme von den festspieleigenen Pfingstfestspielen, hatte am Donnerstag (23.8.) bejubelte Premiere. Andreas Scholl, Philippe Jaroussky, Christophe Dumaux, Jochen Koswalski (wenn die Bombe losgegangen wäre, wer bliebe dann aus dem Counter-Fach?), Ruben Drole und Peter Kálmán (auch Zürcher Bekannte des Intendanten), Anne Sofie von Otter und Cecilia Bartoli: Ein „Händel-Ensemble“, wie es einem höchstens noch in der konzertanten Aufführung von „Tamerlano“ mit Bejun Mehta (auch so ein begnadeter Countertenor), Michael Volle, der überwältigenden Julia Lezhneva und Placido Domingo begegnet ist. „Giulio Caesare“ „begleiteten“ Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini, „Tamerlano“ Les Musiciens du Louvre Grenoble unter Marc Minkowski. Beide Produktionen waren gespickt mit Weltstars, in beiden Produktionen ereignete sich das Wunder der Ensemble-Bildung – und beide Male gehören Musiker und Dirigent untrennbar zusammen. Vielleicht ist das eine Basis, damit eine Sängergruppe wirklich zusammenwachsen kann.