Lesen und Schreiben (2)
STICH-WORT
21/06/12 Wonach die Salzburger Erziehungswissenschafter bei ihrer PISA-Nachkontrolle ebenfalls gefragt haben: Wie geht es den Jugendlichen eigentlich in der „Lebenswelt Schule“?Das Befinden der Schülerinnen und Schüler und ihre Zufriedenheit mit der Schule habe sich seit der Befragung 2000 im Durchschnitt „ein wenig verbessert“, die Schulfreude sei ebenfalls „ein wenig“ gestiegen. Wichtige Teilaspekte dafür sind unter anderem etwas verbesserte Beziehungen zu den Lehrpersonen und verbesserte Strategien, die Anforderungen des Unterrichts zu bewältigen. Nur wenige Schülerinnen und Schüler – 7 Prozent – kreuzten den Punkt an, man müsse in der Schule befürchten, von Mitschülerinnen und Mitschülern bedroht oder gar verletzt zu werden.
Zum damit angesprochenen Thema „Gewalt an der Schule“, das in mehreren Analysen behandelt wurde, sind die Ergebnisse differenziert. Denn die auf Selbsteinschätzungen beruhenden Ergebnisse bestätigen sehr wohl, dass österreichische Jugendliche in der Schule vielfältige und häufige Erfahrung mit Gewalt machen. Jeder vierte männliche Jugendliche war im letzten halben Jahr mindestens zweimal Opfer direkter Gewalthandlungen, jeder dritte war mindestens zweimal Täter. 12% der Mädchen und 29% der Jungen gehören demnach Risikogruppen mit höherer Gewalterfahrung an.
Ein Knackpunkt ist die Frage: Sitzen die Schülerinnen und Schüler überhaupt in den für sie jeweils „richtigen“ Schulen? Die Schulentscheidungen entsprächen laut Studie oft nicht den individuellen Fähigkeiten. In einzelnen Schultypen, insbesondere in den berufsbildenden mittleren Schulen komme es zu Massierungen von Schülern „mit unentwickelten oder nicht zum gewählten Schultyp passenden Interessen“. Darüber hinaus gibt es deutliche Hinweise für einen allgemeinen und bedeutsamen Rückgang der naturwissenschaftlichen Interessen seit der Erhebung im Jahre 2003.
Überhaupt ist, hört man auf die Salzburger PISA-Überprüfung, ein gerüttelt Maß an Kulturpessimismus am Platz. „Vieles deutet auf Stagnation“, heißt es, und es ließen sich „so gut wie keine Bereiche ausmachen, in denen seit der ersten PISA-Testung im Jahre 2000 eine Veränderung zum Positiven stattgefunden“ hätte:
In der Wahrnehmung durch die Schüler sei es hinsichtlich der Qualität des Unterrichts zu keinen substanziellen Veränderungen gekommen. Die Jugendlichen gehen zwar etwas lieber zur Schule als früher, es kommt jedoch zu einer Stagnation bzw. einem Rückgang in der Entwicklung von Interessen.
Der Schule gelingt es nach wie vor nicht, soziale Ungleichheit in einer substanziellen Weise auszugleichen, weder im Hinblick auf primäre noch auf sekundäre Herkunftseffekte. „Angesichts dieser Situation – Stagnation trotz vielfältiger Interventionsmaßnahmen – bestehen ernsthafte Zweifel, ob positive Entwicklungen ohne strukturelle Veränderungen des Pflichtschulsystems möglich sind“, so der Studienleiter Univ.-Prof. Ferdinand Eder.
Die Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler hänge nach Ansicht der Studienautoren zu sehr von der Kompetenz und Bereitschaft der einzelnen Lehrpersonen ab. Dies müsse stärker im Bildungssystem selbst verankert werden. Für engagierte und pädagogisch orientierte Schulleitungen solle es einschlägige Fortbildungsangebote geben sollte.
Die Erziehungswissenschafter sprechen eine deutliche Sprache, was allfällige schulische Kurskorrekturen angeht. Da kommen von vielen als Reizwörter empfundene Begriffe wie „Ganztagsschule“ und „Gesamtschule“ ins Spiel.
Kindern aus unteren sozialen Schichten wäre durch schulorganisatorische und dienstrechtliche Änderungen geholfen, die es Lehrpersonen ermöglichen, mehr Zeit mit den Schülerinnen und Schülern zu verbringen und auf diese Weise verbesserte soziale Beziehungen zu entwickeln. Außerdem bedarf es verstärkter Schulungsangebote für Eltern, auf welche Weise sie ihre Kinder im Hinblick auf die Schule unterstützen können.
Mehr Gerechtigkeit im Schulsystem brächte auch die „zeitliche Rückverlagerung von Entscheidungspunkten“. Derzeit ist das Kind noch keine zehn Jahre alt, wenn es gilt, die Weichen in Richtung Hauptschule oder Gymnasium zu stellen. 14 wäre besser, sind viele Erziehungswissenschafter überzeugt. Studienleiter Univ.-Prof. Ferdinand Eder: „Eine Gesamtschule für die 10- bis 14-Jährigen eröffnete zusätzlich gute organisatorische Rahmenbedingungen.“
Die Salzburger Zusatzanalyse zu „PISA 2009“ – bestehend aus sechzehn Projekten österreichischer Bildungsforscher – hat übrigens keine Anhaltspunkte ergeben, die in PISA 2009 für Österreich berichteten Ergebnisse in Zweifel zu ziehen, so Ferdinand Eder. (Universität Salzburg)