Klassik hören oder Schifahren?
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
18/04/12 Da sitz man also mit ziemlich genau fünfzig weiteren Unerschrockenen zwischen 730 leeren Stühlen im Großen Saal des Mozarteums. So geschehen gestern Dienstag (17.4.). Stimmt schon, Orgelkonzert zieht nichts so. Aber ist ein solcher Abend nicht signifikant für die allüberall fleißig herbei geredete Krise des Abonnements, für die vermeintliche Zuhörer-Krise der klassischen Musik?
Nein, ist er nicht. Dieser Tage erst hat das Mozarteumorchester aufhorchen lassen mit einer ziemlich sensationellen Zahl: Beim Sonntags-Zyklus im Großen Festspielhaus ist vom Vorjahr auf heuer die Zahl der Abonnenten um 35 Prozent auf 935 gestiegen. Das ist umso bemerkenswerter, als dieser Zyklus neu eingeführt wurde. Es geht dort zu einem Gutteil um neu angelocktes Publikum.
Mit noch ansehnlicheren Zahlen warten die Familien- und Teeniekonzerte der Kinderfestspiele auf: Da sind derzeit 1778 Abonnements gebucht – und auch das sind „neue“ Abonnenten.
Durchaus beachtlich aber auch die Zahlen der traditionellen Konzertreihen: Die Camerata Salzburg hat für ihre Abonnementkonzerte auf der Freitag-Schiene 635 Dauergäste, den Sonntagvormittag haben 629 Leute dauer-gebucht. Das Mozarteumorchester hat im Donnerstag-Zyklus aktuell 624 Abonnenten (2009/10 waren es bloß 510). Die Philharmonie Salzburg begrüßt in ihrer Abo-Reihe 592 regelmäßige Gäste. Die Bachgesellschaft: um die 200. Die Stiftung Mozarteum in ihren Kammerkonzert-Reihen: 150 ("6 aus allem" zieht dort besonders). Und weit über der Konkurrenz thront zahlenmäßig der „Abo-Marktführer“ Kulturvereinigung: Dort hält man bei 5.153 Abonnenten (was gegenüber der vorigen Saison ein Plus von 166, sprich drei Prozentpunkten war).
So sieht Krise absolut nicht aus. Auch wenn in der Kulturvereinigung über ein Jahrzehnt betrachtet die Zahlen deutlich rückläufig waren und vor geraumer Zeit mit die (bescheidene) Konzertreihe der Kammerphilharmonie ihr Leben ausgehaucht hat, ist in Summe ein deutliches Plus zu verzeichnen. Die Zuhörerkreise überschneiden sich natürlich. Aber wenn man all die Zahlen addiert, kommt man in der Stadt Salzburg auf stolze 10.696 verkaufte Abonnements. Statistisch gesehen hat also jeder 14. Stadtbewohner vom Säugling bis zum Greis ein Konzertabonnement. Mehr musikhörerischer Fleiß ist nicht denkbar. Ein deutlich geringer Prozentsatz der Bevölkerung leistet sich Schifahren. Beethoven und Brahms statt Carven ist angesagt.
Im Detail freilich sprechen die Musikfreunde ein hartes Urteil: Die Kammermusik ist der absolute Verlierer. Vor zehn, fünfzehn Jahren war noch der Große Saal des Mozarteums (800 Plätze) mit einem Streichquartett durchaus zu füllen. Jetzt ist der Wiener Saal mit seinen 200 Stühlen ausreichend.
Aber auch das ist zu relativieren: Jeder Musikfreund hat seine CD-Sammlung daheim, in Ö1 erfüllt der ORF seinen Kulturauftrag in Hinblick auf klassische Musik durchaus vorbildhaft. Und wie viele Zuhörer suchen eigentlich bei Public-Viewing-Veranstaltungen ein Gemeinschaftserlebnis? Auf dem Kapitelplatz werden im Sommer ja nicht nur Opern in der Preisklasse Netrebko/Traviata projiziert, sondern auch Konzerte. Ja freilich, da rümpfen wir zu gerne die Nase. Aber auch im Barock hat man gegessen und sich unterhalten. Nicht nur in der Oper, sondern auch wenn Bach oder Telemann im Leipziger Café Zimmermann ihr Collegium musicum anleiteten. Der Ursprung der bürgerlichen Konzertreihen war schließlich eine Art Live-Public-Viewing, und es ging sogar um zeitgenössische Musik. Die beansprucht heute für sich doppelte Andacht.
Nein, keine Krise, wirklich nicht. Gegenüber der Situation vor einem halben Jahrhundert ist Kultur insgesamt und sogar das Hören klassischer Musik zum Volkssport geworden.