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Was wäre echte Lebensqualität?

GASTKOMMENTAR (1)

altVon Hans Holzinger

31/12/10 Seit vielen Jahren begleitet uns eine aufgeregte Krisenrhetorik, ohne dass es zu einschneidenden Veränderungen gekommen wäre. Wir haben uns daran gewöhnt, dass täglich Zigtausende Menschen an den Folgen von Hunger sterben, obwohl der Planet – wie die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen belegt – auch eine Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen ernähren könnte. Derzeit sind es knapp 7 Milliarden.

Die Ausbeutung von Arbeitern und Arbeiterinnen zur Herstellung billiger Konsumgüter haben wir mit den Fabriken „ausgelagert“ – ebenso die ökologischen Verwüstungen. Bei uns haben Seen wieder Trinkwasserqualität, auch die Luft lässt sich wieder atmen. Dort wo jetzt die Fabriken stehen, sieht es anders aus. Am Ende schicken wir den Müll wieder zurück in die armen Länder. Und selbst die Verknappung der Ressourcen sowie den Klimawandel spüren wir trotz des vielen aufgeregten Redens darüber (siehe Cancún) zumindest bislang nicht wirklich!

Die Regale unserer Supermärkte und Shopping-Malls sind voll wie noch nie. Wir fahren Vollgas weiter mit unseren Autos, als hätte es nie Benzinpreiserhöhungen oder Meldungen über den menschenverursachten Klimawandel gegeben. Fluggesellschaften überbieten sich mit Billigstangeboten. Treibhauseffekt hin oder her! Der Kurzfrist-Hedonismus obsiegt im Regelfall über das Prinzip der Langfrist-Verantwortung.

Eigentlich waren es zwei Ereignisse, die uns tatsächlich betroffen gemacht haben. Der Schock der äußeren Verwundbarkeit durch die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001, die die hochgerüstetste Nation der Welt sehr wehrlos erscheinen ließen. Stockholm hat soeben daran erinnert. Und dann die Finanzkrise, die mit dem Trudeln großer Banken im Herbst 2008 die reichen Länder der Erde erfasst hat. Die Finanzkrise, die zuvor bereits Staaten in Lateinamerika, Asien oder Russland zu spüren bekommen hatten, war plötzlich mitten unter uns. Ein Schock der inneren Verwundbarkeit eines angeblich so effizienten und erfolgreichen Systems. Ein Schock, der die Nicht-Steuerbarkeit des globalen Spekulationskarusells, zu dem der Finanzmarkt verkommen war, mit einem Schlag bewusst machte. Dass die Staaten mit Riesenkrediten die Banken retten mussten, schafft uns nicht nur große Folgeprobleme in der Zukunft, sondern hat auch das Vertrauen in die Wirtschaftsordnung erschüttert. Wir fühlen uns in Geiselhaft eines Systems, dem wir offensichtlich unser Leben – oder sagen wir, unseren materiellen Wohlstand – verdanken.

Politik muss sich den alltäglichen Herausforderungen vor Ort stellen: Gesundheitsreform, Bildungsreform, Verwaltungsreform – all das ist wichtig. Darüber hinaus geht es jedoch um Grundsätzlicheres: Wie können wir das Wirtschaftssystem krisenfester machen? Wie kommen wir zu dem, was Lebensqualität ausmacht? Und auch: Wie schaffen wir das tatsächlich gröbste Schandmal der Welt – den Hunger von Zigtausenden –  ab?

Zwei Stränge von Antworten sind zu sehen: Wir brauchen so etwas wie Welt-Innenpolitik und Welt-Sozialpolitik – globale soziale und ökologische Mindeststandards, demokratisierte globale Wirtschaftsorganisationen, globale Umverteilungsmechanismen, die weit über das derzeitige Entwicklungshilfesystem hinausgehen, etwa über globale CO2- und Finanztransaktionssteuern. Das ist schwierig, aber notwendig. Wie es gehen könnte, zeigt etwa die Global Marshall Plan-Initiative.

Und wir brauchen zweitens viele Initiativen und Neuanfänge von unten: von einer völlig neuen Art, unsere Häuser zu bauen – Gebäude müssen in Zukunft zu Energiekraftwerken werden – und völlig neuen Mobilitätssystemen, die dem postfossilen Zeitalter standhalten, über eine Anpassung der Sozialsysteme an die sich wandelnden Lebensverhältnisse – etwa neue Arbeitszeitmodelle, die dem veränderten Geschlechterverhältnis ebenso Rechnung tragen wie den demografischen Verschiebungen – bis hin zu neuen kooperativen Wirtschaftsmodellen, die Lebensqualität umfassender definieren. (Wird fortgesetzt)

Mag. Hans Holzinger ist Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, Mitherausgeber der Zeitschrift „Pro Zukunft“, Lehrbeauftragter an der Universität Klagenfurt, Mitglied des Entwicklungspolitischen Beirats des Landes Salzburg. Rückmeldungen an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Zum zweiten Teil des Gastkommentars „Wir“ – das ist die Zukunftsperspektive!

 

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