Wein, Weib, Straßenfest
FEUILLETON
20/05/22 Wir haben ein Thema gefunden, für das sich Leserbriefverfasser die Finger wund schreiben und augenscheinlich alle, wirklich alle, an einem Strang und in die gleiche Richtung ziehen. Da will uns doch der Altstadtverband das Linzergassen- und das Kaiviertelfest rauben! In den Augen vieler Menschen fällt damit offenbar die letzte Bastion für Fressen und Saufen im öffentlichen Raum.
Von Reinhard Kriechbaum
Rein gar nichts will man uns gönnen und Salzburg in die schiere Menschenleere versinken lassen. Hat eigentlich eine politische Partei am Ort noch nicht ihre Entrüstung hinausposaunt? Als Beispiel diene die Stadt-SPÖ, die heute vermeldet: „Wir haben in den ersten 24 Stunden 1.000 Unterstützerinnen und Unterstützer gewinnen können, das ist unglaublich.“ Dem Wort „unglaublich“ halten wir nicht entgegen.
Das Bedürfnis ist offenkundig gegeben. In Hallein gibt’s heuer den Weinmarkt, den Braukunstmarkt, das Stadtfest und die Italienische Nacht. In Seekirchen ist ein Stadtfest fürs erste Juli-Wochenende angekündigt, in St. Johann im Pongau ein „Stadtzauber“ Mitte September. Und,und, und.
Manche Initiativen haben schon eine sehr lange Tradition. So gibt es das Lieferinger Dorffest schon über 35 Jahre. Damals hat noch niemand etwas geahnt von einer Lebenseinstellung, die Kulturwissenschafter und Veranstalter auch so beschreiben: Der öffentliche Raum wird zum Wohnzimmer. Niemand wäre vor drei, vier Jahrzehnten auf die Idee gekommen, an kalten Frühlings- und Herbsttagen Heizschwammerl hinzustellen und sich outdoor zum Chillout zu versammeln. Nicht zufällig sind diese neudeutschen Wörter Allgemeingut geworden. Erforscher der Alltagskultur finden da ein reiches Betätigungsfeld vor, um nach den Ursachen dieses Paradigmenwechsels im öffentlichen Raum zu fragen.
Die Lenkmechanismen durch PR und Marketing spielen sicherlich eine große Rolle. Für die Straßen- und Grätzelfeste gilt ja, wo Angebot geschaffen wird, Brauereibänke und -Tische aufgestellt werden und man die Türen zu Geschäften für ein paar Stunden über die normale Sperrstunde hinaus offen hält, dort finden sich natürlich auch die Menschen, die davon Gebrauch machen. Nach ein paar Jahren gleicht die Frage, was zuerst da war, Handelsinteresse oder Vergnügungsbedürfnis, jener nach der Henne und dem Ei. Konkret beim abgesagten Linzergassen- und Kaiviertelfest heißt das: Der Altstadtverband, der beide Veranstaltungen gemeinsam mit den Gastronomen und Krämerseelen in den jeweiligen Stadtzügen einst ins Leben gerufen hat, steht jetzt plötzlich als der große Miesmacher da. Hinter den Absagen steckt nur sehr am Rande die Pandemie. In Wirklichkeit hat man eingesehen, dass Straßenfeste zwar den Backhendl- und Alkoholkonsum heben, aber keineswegs die Kauflust.
Einkaufen und Vergnügen stehen sozial- und kulturhistorisch seit je her nebeneinander. Wer denkt über den eigentlichen Ursprung von Weihnachtsmärkten nach? Bauern haben vor Adventbeginn geschlachtet und das Fleisch in solchen Märkten in den Städten angeboten – es ging bei solchen Märkten um die Lebensmittelversorgung und nicht um den Erwerb von Christbaumkugeln (der Christbaum war ja auch noch gar nicht erfunden).
Kirtage in Dörfern und Städten waren auch solche Anlässe, sich einzudecken mit dem Lebensnotwendigen. Schöner Nebeneffekt: Das Gemeinschaftsleben wurde gefördert. Diese Kirtage (Heiligenfeste) zu Fixterminen gaben einst auch den fahrenden Händlern einen verlässlichen Reisekalender vor. Sie konnten an den entsprechenden Tagen und Orten mit ausreichend Kundschaft und Kaufbereitschaft rechnen.
Über all den Straßen- und Grätzelfesten darf man auf diese Traditionstermine nicht vergessen, die natürlich so wie die Weihnachtsmärkte ihren merkantilen Grundcharakter längst zugunsten des gastronomischen Events aufgegeben haben. Exakt achtzig Kirtage und Krämermärkte listet die Salzburger Wirtschaftskammer aktuell fürs Bundesland Salzburg auf. Vor der Pandemie waren es etwas mehr, jedes Jahr um die neunzig. Nicht wenig bei 119 Gemeinden. Da sind nicht die unzähligen Weihnachtsmärkte mitgerechnet. Und eben auch nicht die Straßenfeste.
Die Kritik daran ist so alt wie die Einrichtung: „Kirchtage sind Lastertage“, sagte man einst stirnrunzelnd in Hinblick darauf, dass der eigentlich Anlass – die Feier des Ortspatrons oder des Kirchenheiligen – aus den Augen rückte zugunsten der Handels- und Vergnügungserwartungen.
Und wie geht es jetzt unmittelbar weiter im Straßenfest-verödeten Salzburg? Ob der Vielklang wirklich ausreichend viele anspricht oder nicht? Am nächsten Wochenende (27./28.5.) ist's so weit. Dieses „Flanierfestival“ wird jene, die sich gerne mit Bierkrügen auf Bänken niederlassen, nicht zufriedenstellen. Dass nichts los sei in Salzburg, kann man jedenfalls nicht sagen. Aber freilich: Die Trias „Wein, Weib, Straßenfest“ ist mit dem Vielklang nicht einzulösen.
Vielklang Flanierfestival – Freitag, 27. Mai 14 bis 19 Uhr, Samstag, 28. Mai 11 bis 18 Uhr – www.salzburg-altstadt.at
Bilder: Altstadtverband / wildbild (1); Niko Zuparic (1); dpk-klaba (1)