Kitzloch-Scheuklappen
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
05/01/21 Es ist immer gefährlich, Kultur gegen Tourismus oder andere Wirtschaftszweige auszuspielen. Aber die aktuelle Inzidenz im Wintersportort Flauchau – sagenhafte 7.627 mit Stand heute Mittwoch (5.11.) früh – lässt einen dann doch darüber nachdenken, ob der Mammon das Aufrechthalten des Ski-Betriebs rechtfertigen darf.
Mit der Kultur hat man jedenfalls in den vergangenen eindreiviertel Jahren deutlich weniger federlesens gemacht. Da wurde zugesperrt, und die Betroffenen – Veranstalter wie Publikum – haben das zähneknirschend, aber doch im Grunde mit Verständnis weggesteckt. Wenn die Lage im Bundesland Salzburg jetzt eskaliert, wird wohl auch die Kultur mehr oder weniger unter die Räder kommen. Das Zusperren wird wohl unmittelbar nicht verordnet – und wäre auch politisch schwerlich zu verantworten, solange die Gastronomie in den Tourismusorten weiter tut, als ob nichts wäre.
Aber es ist nicht anzu nehmen, dass bei der Masse und dem Tempo der Omikron-Verbreitung Schauspiel- und Opernensembles, Chöre und Orchester unberührt bleiben von den Infektionen.
Vielleicht sollten sich Kulturveranstalter schon mal was abschauen von der kaltschnäuzigen Argumentation des Flachauer Bürgermeisters Thomas Oberreiter. Der weiß sich wohl im Geiste eins mit dem erst seit wenigen Tagen im Amt befindlichen Corona-Manager im Lande, dem Bundesheerler Peter Schninnerl. Der gab erst gestern in den SN zu Protokoll: dass Coronafälle in Skigebieten „nicht die größten Sorgen“ machten. Es handle sich bei den Infizierten ohnedies um auswärtige Saisonkräfte, die also nicht die Infektionen in ihre Familien zögen.
Heißt mit anderen Worten: Dier stecken sich eh nur untereinander und ihre Kundschaft an. Und die fährt, eh wieder heim nach Deutschland, in die Niederlande oder in die anderen österreichischen Bundesländer. Was schert uns das?
Diese Argumentation könnte man als Kitzloch-Scheuklappen bezeichnen. Solche trägt auch der Flachauer Bürgermeister. Bei rund 60 Prozent der Infizierten handle es sich um Tourismusmitarbeiter oder Skilehrer, bei rund 40 Prozent um Menschen aus dem Ort, tat er dem ORF Salzburg kund. Und außerdem berechne man die Inzidenz-Zahl von 7.627 auf der Basis der 3.000 Einwohner und nicht auf die zusätzlichen 12.000 bis 13.000 Menschen (Gäste und Tourismus-Gastarbeiter), die sich tatsächlich am Ort aufhielten.
Die verstreuen ihre Viren also nur unter ihresgleichen und später daheim. Größte Sorge am Ort offenbar: Den Tourismusbetrieben bricht das Personal weg. Manche – oh Gott! – müssen gar schon zusperren, und die Skischulen können keinen Gruppenunterricht mehr anbieten. Gleich kommen uns die Tränen. Lösungsvorschlag des Flachauer Bürgermeisters: „Es wäre darum wichtig, die Quarantänezeit zu verkürzen oder – wenn keine Symptome auftreten – ganz zu streichen.“
Ihr lieben Kultur-Macher und liebes Publikum: Scheißt Euch fürderhin nicht. Spielt infiziert für uns, wie auch wir infiziert ins Theater, ins Konzert und sonst überall hin gehen.