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Urbi et orbi

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

27/03/20 Der Papst spendet den Segen Urbi et orbi – und er hat aus einer römischen Kirche ein als wundertätig verehrtes Kreuz in den Vatikan holen lassen. Das hat schon einmal, während einer Pest-Epidemie im frühen 16. Jahrhundert, gute Dienste geleistet. Man möchte nicht glauben, dass wir im 21. Jahrhundert leben.

In unserer heutigen KULTUR-LIVE-Empfehlung geht es um allerlei Dinge in der Kunst- und Wunderkammer des Salzburger Dommuseums, die man einst für wundertätig gehalten hat. Der Alpensteinbock war besonders arm dran. Man hat ihn damals fast ausgerottet, weil er seinen Zeitgenossen als „wandelnde Apotheke“ galt. Sogar sein Horn hat man pulverisiert und als entgiftendes Mittel verabreicht. Schnee von gestern? Etwas, worüber der moderne Mensch bloß die Nase rümpfen kann?

Besagtes Pestkreuz wurde während der Pest 1522 in Prozessionen durch Rom getragen, bis die Seuche nach 16 Tagen abebbte. Ob man bei diesen Umzügen wohl den Ein-Meter-Abstand zwischen den Menschen eingehalten hat? Eine eigene Bruderschaft, die „Compagnia del Santissimo Crocifisso“, kümmerte sich jedenfalls seitdem um die Verehrung des Kreuzes. Um die Erinnerung an die Hilfe vor der Pest wach zu halten, hat man das Kreuz über Jahrhunderte immer am Gründonnerstag zum Petersdom getragen. Nun ist es also wieder dort. Auch eine Marien-Ikone, die ebenfalls hoch verehrt wird in Rom, ist in den Vatikan geholt worden.

Aberglaube, natürlich. Aber auch ein Zeugnis für ein archaisches Schutzbedürfnis der Menschen, das auch hinter vielen unserer Bräuche steht. Bauern stecken die am Palmsonntag geweihten Buschen auf die Felder. Wirkt der Palmbuschen-Segen eigentlich auch, wenn er via Fernsehen erteilt wird? Im Lungau wirft man am Gründonnerstag Antlaßeier (die an dem Tag gelegten Hühnereier) über die Hausdächer – das sollte sogar in Corona-Tagen praktikabel sein.

Die katholische Kirche kennt in ihren Ritualen viele solcher Maßnahmen. Selbst bei einer Taufe gibt es ein Exorzismusgebet, also eine kleine Teufelsaustreibung. Aber um solche Dinge macht man wenig Wind, denn es ist ja spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil radikale Nüchternheit im religiösen Denken und in der Liturgie angesagt. Das Ent-Mystifizieren betreibt die Kirche seither mit geradezu selbstzerstörerischem Eifer. Das lohnen ihr die Menschen damit, dass sie ihr in Scharen davon laufen und ihr Heil in allerlei esoterischem Brimborium, in fernöstlichen Meditationspraktiken und dergleichen suchen. Haare schneiden und die Wohnung aufräumen nach dem Mondkalender – wenn man das tut, wird man heutzutage weit weniger scheel angesehen, als wenn man am Sonntag in die Kirche geht.

Und wie zum Trotz: Die Medien vermelden gerade tolle Einschaltquoten für Gottesdienstübertragungen. 142.000 Menschen vor dem Fernsehschirm bei einer Messe aus dem Wiener Priesterseminar? ORF III wäre sonst froh, so viele Leute mit einer Opernübertragung zu erreichen. Vielleicht sollte man öfter mal die Menschen aus der Kirche aussperren...

Heute Freitag (27.3.) um 18 Uhr wird also der Papst den Segen Urbi et orbi spenden. Das tut er sonst nur am Ostersonntag und am Weihnachtstag oder nach einer Papstwahl. Nicht mal während des Dreißigjährigen Kriegs oder während der beiden Weltkriege kam dieser ultimative Segensspruch aus dem Vatikan. Es ist also tatsächlich ein in der Kirchengeschichte einmaliger Vorgang. Die Nachrichtenagentur Kathpress hat dem in ihrer gestrigen Ausgabe eine Doppelseite gewidmet – wohl auch deshalb, weil man in einer was religiöse Grundbildung angeht unterdessen weitgehens ahnungslosen Gesellschaft Fehldeutungen befürchtet.

Wie auch immer: heute Abend ist die Quote bei Urbi et orbi gewiss wieder enorm hoch. Schaut so aus, als ob da ein alter Mann im Vatikan etwas ganz richtig macht.

Die Papst-Zeremonie wird heute Freitag (18 Uhr) in ORF III live übertragen
Die Meldung – und Erklärung – der Kathpress zum Segen „Urbi et orbi“ – www.kathpress.at
Zum KULTUR-LIVE-Beitrag
Gegen Pest und andere Seuchen

 

 

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