Vom Wert des gelernten Wissens
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
29/07/18 Ach, was mögen bloß die griechischen Buchstaben und Wörter bedeuten auf der „Salome“-Bühne, von denen am Ende allein das goldleuchtende Omega übrig bleibt? Von Glück kann reden, wer im Gymnasium mehr als ein Quäntchen humanistische Bildung mitbekommen hat.
Solch ein Glückspilz weiß natürlich auch den lateinischen Spruch „Te saxa loquuntur“ zu dechiffrieren. Gesellte sich zur humanistischen Bildung obendrein christliche Sozialisierung (oder wenigstens: ein klein wenig Wissen um die christliche Bildersprache) – dann gehörte der Betreffende wahrscheinlich nicht zu jener Mehrheit, die nach der „Salome“-Premiere am Sonntag (28.7.) in der Felsenreitschule, noch vor dem ernsthaften Applaudieren, mit den Sitznachbarn die Köpfe zusammensteckte und über das Rätselhafte zu munkeln begann.
Gelerntes Wissen macht sich bezahlt, und eine Verankerung in der eigenen Kultur und deren antiken Vorbildern ebenfalls. Dann brauchte man sich nicht so unsäglich zu fürchten vor dem Fremden und Unbekannten. Und damit sind bereits mittendrin in dem, wofür Festspiele stehen sollten und wofür Kunst wie diese gut ist.
Zur Mittagsstunde am Premierentag der „Salome“ war Intendant Markus Hinterhäuser im ORF zu hören. Die Tagespolitik will Hinterhäuser nicht auf der Bühne gespiegelt sehen, sondern die großen Themen, wie sie sich in den Mythen spiegeln. Was letztlich aufs Gleiche hinausläuft, denn entscheidende Fragen stecken ja in diesen Stoffen, und auf solche Fragen muss immer auch die (Tages-)Politik Antworten suchen und finden.
Wie schwer das ist, das zeigte sich unmittelbar im Premierenapplaus nach der „Salome“, der erst allmählich zur verdienten Stärke anschwoll. Es war offensichtlich, dass viele, viele im Publikum mit der Bildersprache des Regisseurs Romeo Castellucci, die doch nichts wirklich Außergewöhnliches, unserer Kultur Wesensfremdes enthält, herzlich wenig anzufangen wussten. Das Geniale mag sich ihnen unterschwellig mitgeteilt haben (es gab absolut keine Missfallensbezeugung), aber das Deuten... Da hätte man in der Schule besser aufpassen sollen. Oder bessere Lehrer haben. Oder bessere Lehrpläne, die mehr auf kulturelles Wissen und Verstehen als auf naturwissenschaftliches Stoffeintrichtern ausgerichtet sind. Das sind sie leider seit Jahrzehnten.
Das Technik-Wissen kann man jederzeit googeln. Mit griechischen Buchstaben tut man sich schon viel schwerer. Und mit Mythen, mit Metaphern, mit Sinnbildern – da kommt, wie man nach dieser „Salome“ mit Händen greifen konnte, selbst ein wertkonservatives Publikum (bestimmt die Mehrheit in Salzburg) ins Schlittern.
„Lernen Sie Geschichte“, hat der belesene und gebildete Bruno Kreisky gesagt. „Lernen Sie die eigene Kultur“, sollte die Mahnung an jene sein, die sich über unvorteilhaft formulierte mathematische Textbeispiele bei der Zentralmatura erhitzen können. Die echten Defizite liegen ganz woanders.