Beton gibt keine Antwort
STICH-WORT / NAZI-SCHMIEREREIEN
21/02/14 FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN steht da schwarz gesprayt in einer wenig markanten Handschrift. Ergänzt um das Wort NAZIS in einer anderen Schrift, bekommt die Botschaft einen Drall in ihre ideologische Gegenrichtung. Die derzeit oberste Textschicht in kräftigem Giftgrün fordert in selbstbewusster Hand wiederum den STRICK für besagte Nazis…
Von Heidemarie Klabacher
Die einen verkünden in fußhohen Lettern den Beginn des „Klassenkriegs“, die andern machen daraus den Aufruf zum „Rassenkrieg“. Die widerliche Botschaft „National statt asozial“ ist mit einem unförmigen roten Herz übermalt. In der gleichen Farbe und - wie es scheint - im gleichen Schwung ist dieses Herz von seinem Schöpfer aber auch schon wieder durchgestrichen worden. Was jetzt? „Kill all“ hat jemand Dritter ganz schüchtern in dünnem Filzstift dazugeschrieben. Wen genau – das lässt sich nicht mehr erkennen.
Tobt an Salzburgs Brückenköpfen und S-Bahnstationen der Krieg der Ideologien? Sind es potentiell gefährliche Rechts- oder Linksradikalisierte? Sind es gedankenlose jugendliche Schmierer, denen nicht bewusst ist, welche Inhalte ihre Parolen transportieren?
Ergebnis kreativen Ausdruckswillens scheinen die „politischen“ Schmiererein in den seltensten Fällen zu sein. Dazu sind sie grafisch-technisch großteils einfach zu schlecht. Die tatsächlich kreativeren Graffitis mit künstlerischem Anspruch – in Salzburg selten, aber da und dort an den Lärmschutzwänden der Eisenbahn zu entdecken – sind wohl manchmal obszön oder vulgär, aber selten „radikal“.
Wird den jungen Leuten Facebook & Co langsam zu fad? Sind einzelne Schmierereien die handfestere Form des Diskurses derer, denen das Hick-Hack auf den Online-Foren zu öde, der rein virtuelle Austausch zu unergiebig wird?
„Darf jeder jedes Verbrechen begehen ohne Konsequenzen?“ Diese Frage steht ganz klein geschrieben, und von den großen Buchstaben des N-Wortes teils unlesbar gemacht, neben der (oben beschriebenen) heiß diskutierten Forderung nach FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN. Sind einzelne solcher Schmierereien vielleicht sogar Ausdruck eines Bedürfnisses junger Menschen nach ernsthaftem Gespräch?
„Darf jeder jedes Verbrechen begehen ohne Konsequenzen?“ Da hat also jemand eine sehr ernsthafte Frage gestellt. Hat jemand ebenso ernsthaft Antwort gegeben? Eltern? Lehrer? Ethik- oder Religionsunterricht? Offenbaren die Tiefenschichten einzelner solcher durchaus vielschichtiger Schmierereien die Not verwahrloster, vernachlässigter, alleingelassener Kinder? Betonmauern geben keine Antwort. Werden solche „Botschaften“ von Psychologen angeschaut? Manches gibt zu denken, was da so gesprayt und geschmiert wird. Manches, was so an Haus-, Lärmschutz- oder sonstigen Wänden auftaucht, ist einfach nur dumm oder beleidigend. Manches, wirklich nur manches, ist sogar witzig.
Doch vieles, was an Schmutz aus dem nicht austrocknen wollenden braunen Sumpf gegriffen und an die Wände geworfen wird, ist beängstigend und bedrohlich. Hier ist der Verfassungschutz aktiv und dokumentiert die Schmierereien.
Erschreckend sind die Schmieraktionen bei den Stolpersteinen, die Schändung des Mahnmals für die Nazi-Opfer auf dem Kommunalfriedhof oder die Besudelung der Davidsterne und das Zerstören der Sprechanlage bei der Synagoge. Ekelhaft und idiotisch die schier allgegenwärtige Formel „NS statt US“ - kaum ein Trafo-Kasten, kaum ein Altkleidercontainer, der damit nicht beschmiert worden ist.
In vielen dieser Fälle wurde und wird jedenfalls von Seiten der Stadt Salzburg prompt reagiert: Viele Schmiererein werden tatsächlich fast so rasch wieder entfernt, wie sie aufgetaucht sind. „Es ist für mich und für den ganzen Magistrat eine Frage der politischen und moralischen Hygiene, Nazischmierereien auf öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen jeweils so schnell wie irgend möglich zu beseitigen, wie etwa im Fall der beschmierten Stolpersteine oder im Fall von NS-Parolen auf Amtsgebäuden, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen der Stadt.“ So Bürgermeister Heinz Schaden jüngst in einer Presseaussendung.
Viele Schmierereien tauchen freilich auch auf Gebäuden auf, die nicht in die Kompetenz der Stadt fallen. Dann wenden sich Magistrats-Mitarbeiter an die betroffenen Eigentümer. „Viele Salzburgerinnen und Salzburger reagierten äußerst betroffen auf die NS-Schmierereien und meldeten diese beispielsweise ans Bürgerservice.“ Dennoch, so der Bürgermeister, mache die Stadt um diese Vorgänge in der Regel nicht viel Aufhebens: „Denn wir wollen Ewiggestrigen, Provokateuren und Dummköpfen nicht noch eine Bühne zimmern. Diese Leute verdienen keine Publizität.“
Erst vor wenigen Tagen ist in der Stadt Salzburg der „Monat der Vielfalt“ zu Ende gegangen. Zufall oder Absicht - und was auch immer der infame Slogan bedeuten soll: „Hochkultur statt Multikultur“ steht jedenfalls seit gut einem Monat auf einem Streusplitt-Kasten an der S-Bahn...
Bilder: dpk-klaba