Lehen erleben, aus der Vogelperspektive
STICH-WORT
23/05/12 Vor zehn Jahren noch hätte man sich vermutlich an die Stirn getippt, wäre jemand auf die Idee gekommen, Architekturführungen durch den Stadtteil Lehen anzubieten. Es sei denn, das Thema hätte gelautet: Abschreckende Beispiele.
Von Reinhard Kriechbaum
Jetzt ist das entschieden anders: Wenn am übernächsten Wochenende (1./2. Juni) überall in Österreichs Landeshauptstädten die biennalen „Architekturtage“ stattfinden, kann man in Salzburg getrost nach Lehen einladen. Die „Neue Mitte“ mit der Stadtbibliothek akzentuiert den Stadtteil. Das „Stadtwerk“ wird bald tatsächlich den an das ehemalige Gaswerk-Areal gestellten Anspruch einlösen, „Wohn- und Wissensquartier“ zu sein. Hier entsteht also etwas, was dem eigenartigen Barock-, Plattenbeton- und Einfamilienhaus-Dorf Salzburg unversehens qualitätvolle urbane Akzente gibt.
Lehen wird bei der zweitägigen „Architektur-Show“ mit Veranstaltungen und geführten Touren, auf die wir im DrehPunktKultur im Vorfeld noch detailliert zu sprechen kommen werden, im Mittelpunkt stehen. Bei der Programmpräsentation durch die „Initiative Architektur“ wurde Journalisten heute, Mittwoch (23.5.) Gelegenheit geboten, die Großbaustelle Stadtwerkehaus zu besichtigen. Am Samstag, 2. Juni, wird es dort mehrmals täglich Führungen geben – bis hinauf ins luftige zehnte Geschoß.
Das Haus ist derzeit entkernt, ausgehöhlt. Dass im Herbst die Volkshochschule dort einziehen werde, wie geplant, kann sich nicht mal der Bauträger vorstellen – man redet jetzt von „Winter“, also wohl vom Sommersemester 2013. Aber eine Vorstellung bekommt man schon. Zwischen Parterre und erstem Stock wurde ein Stück Betondecke herausgenommen. In einer hellen Art „Halle“ wird man dereinst also empfangen werden. Die unteren fünf Stockwerke gehören dann der Volkshochschule, darüber werden Büros für Unternehmen aus der Wirtschafts- und Kreativbranche Platz finden. Das Flugdach über dem obersten gläsernen Geschoß ist der Clou. Jetzt pfeift einem noch der Wind um die Ohren. Der Blick auf die Innenstadt ist verblüffend.
Da kommt einem natürlich in den Sinn, dass das eines der Lehener Architektur-Wahrzeichen, das auf die Stadtbibliothek schräg aufgesetzte „Turmstübchen“ über dem ehemaligen Fußballrasen, immer noch ungenutzt da steht. Uns wurde damals vom angeblich tollen Blick von dort oben vorgeschwärmt. Für den hat sich bisher noch kein gastronomischer Pächter erwärmen können – kein Wunder, steht doch das ehemalige Stadtwerke-Hochhaus gerade in Sichtlinie stadteinwärts. Als Lokal ist das Ding das Geld nicht wert, das es kosten würde.
Vielleicht wäre es sinnvoll, beizeiten doch noch über die (derzeit verworfene) Idee nachzudenken, das Dachgeschoß im „Stadtwerk Lehen“ doch gastronomisch zu nutzen? Nach der aktuellen derzeitiger Planung werden dort, auf Ebene zehn, von den Haus-Mietern abwechselnd genutzte Besprechungsräume entstehen, heißt es. Arbeitssitzungen vor dieser Vedute! Am besten die Bestimmung wechseln: Das revitalisierte Hochhaus wäre tatsächlich ein Ort, wo man mit einem Lokal mit fulminanter Stadtsicht punkten könnte. Vielleicht sieht man statt dessen das Ziertürmchen in der Neuen Mitte für Büro-Nutzung vor. Für Architekten möglicherweise, die dort darüber jeden Tag sinnieren könnten, ob Bauskulptur wirklich alles ist.