Tschentschen
STICH-WORT
Von Christina Repolust
29/09/11 Über vierzig Jahre ist mir dieses Wort nicht mehr untergekommen. Gesagt hat es niemand mehr seit 45 Jahren, zu mir gesagt, meine ich. Mit jedem Lebensjahr entrückte ich der temporären Zuschreibung und lieblosen Unterstellung, eine Tschentsche zu sein.
Wenn ein Kind tschentscht, muss man es in den Arm nehmen oder einem anderen, der gerade den längeren Atem hat, in den Arm legen. Tschentschen ist eine Stufe vor der Vernichtung, der gefühlten. Da schreit man schon längst nicht mehr, ausgeweint ist und hat man auch schon, eigentlich sind es nur mehr zwei Minuten zur Resignation. Da hat dir das Leben seine kälteste Schulter gezeigt, du kannst es nicht fassen und begehrst auf, da muss es doch eine kleine, warme Stelle an dieser Schulter geben, du suchst und jammerst und klagst und begehrst auf. Dann könnte das Tschentschen beginnen, aus dir heraus, stummes Schluchzen.
Das Verb begegnete mir in Maja Haderlaps Debütroman „Engel des Vergessens“: Ich tschentsche, ich habe getschentscht. Leider ist mir die Umgebung und jede Phantasie für eine Situation abhanden gekommen, um „ich werde tschentschen“ als Vorsatz zu fassen. Aber vorsätzliches Tschentschen soll es ja nicht geben, nur Mitgefühl und ein Taschentuch, aus Stoff, wenn es geht bitte.