Melancholie, du liebliche Nymphe
FESTSPIELE / LIEDERABEND JOSÉ CARRERAS
31/08/12 Es ist Verlass aufs Publikum. Auf jene, die am Donnerstag (30.8.) nach vorne strebten, um ihrem Idol José Carreras eine Blume zu überreichen. Aber auch auf jene vielen, die einfach weggeblieben sind. Sie wollten, geradeheraus gesagt, mit der künstlerischen Leichenfledderei nichts zu tun haben.
Von Reinhard Kriechbaum
Freilich, mit einigem guten Willen finden sich Dinge, für die man José Carreras nach wie vor Achtung zollen muss: Er hat sich an seinem Festspiel-Liederabend aus dem Repertoirefeld des Lied-Belcanto durchwegs Stücke erzählerischen, ja: balladesken Charakters gewählt, Musik, bei der es gar nicht so sehr auf die strahlenden Zieltöne ankommt, die man deshalb getrost auch ein paar Töne nach unten transponieren kann.
„Malinconia, ninfa gentile“ (Melancholie, du liebliche Nymphe), ein Lied von Vincenzo Bellini: Die gedrückte Stimmung ist nicht nur Textinhalt, sie kommt auch auf, wenn man sich an den Carreras vergangener Jahrzehnte erinnert. Aber Carreras stellt sich der Melancholie ehrlich. Es ist ja ohnedies nicht zu verbergen, dass auch schon ein wenig mehr Tessitura rasch an Grenzen führt.
Dass ein Sänger, der die Italianitá über Jahrzehnte praktiziert hat, stilistisch damit sicher umgeht, ist keine Frage. Aber die Blütenlese von Mercadante über Bellini, Tosti, Leoncavallo, Ginastera bis zu wenig geläufigen katalanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts lebte entschieden von der Stimme per se. Und die ist eben nur mehr ein Schatten. Man braucht den Werkzeugkoffer des Musikkritikers in dem Fall gar nicht erst aufzumachen. Carreras singt außer Konkurrenz.
In Salzburg war Carreras quasi ins Vorabendprogramm verbannt, bevor im Nachbarhaus Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester Mahlers Sechste zündeten. Im Haus für Mozart sind nicht nur Einzelsitze, sondern im ersten Rang gleich ganze Reihen leer geblieben. Falls der Name Carreras als Cache cow gemeint war – das hat nicht so wirklich funktioniert. Falls es eine (letzte?) Festspiel-Ehre für den Künstler hätte sein sollen – dann hätte man den Abend mit ein wenig Feingefühl eleganter positionieren, programmieren und wohl auch vermarkten müssen.
Es gibt genug Zuhörer, die auf ein Forte am Liedende, auf einen leicht zittrigen, aber getroffenen eher höheren Ton augenblicklich anspringen. Standing ovations am Ende, natürlich. José Carreras, dieser intelligente Sänger, muss ein sauschlechtes Gefühl dabei gehabt haben.