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„Lenzens Eseley“ im Luftkurort

FESTSPIELE / YDP / JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ

12/08/12 Es ist 1778 und tiefster Winter. Gerade sitzen sie – wie eigentlich immer – fromm betend bei Tisch, Pastor Oberlin und seine Familie. Da schneit ein eigenartiger Gast herein: der verkrachte Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz.

Von Reinhard Kriechbaum

Wie Lenz zu Fuß über die Berge ins entlegene Elsässische Steintal gekommen ist, wundert die Steintaler am allermeisten. Er sucht hier Heilung von seiner psychischen Krankheit.

Es ist eine wahre historische Begebenheit in der verqueren Biographie des Dichters Lenz (1751-1792), den es nirgendwo für längere Zeit gelitten hat. Nicht nur aus dem Kreis um Goethe ist er, der sich nie und nirgends einzufügen, geschweige denn anzupassen verstanden hat, hochkantig rausgeflogen. „Lenzens Eseley“ nahm der Dichterfürst damals lapidar zu Protokoll.

Lenz’ von einem Freund vermittelter „Kuraufenthalt“ im Steintal, beim aufklärerischen Pastor Johann Friedrich Oberlin, ist gut dokumentiert und literarisch anregend. Oberlin selbst hat sich dazu geäußert, Georg Büchner hat Jahrzehnte später den bloß zwanzig Tage währenden „Urlaub“, der Lenz zur Suche nach Sinn dienen und ihm Halt geben sollte, in eine Novellenfragment verarbeitet. Wolfgang Rihm hat daraus eine Kammeroper geformt. Büchners „Lenz“ wirkt nachhaltiger als dessen eigenes Werk.

Die auf Lenz’ Drama „Die Soldaten. Eine Komödie“ beruhende Oper „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann wird heuer bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. Der Beitrag im Young Directors Project ist inhaltlich also passend. Es ist ein Auftragswerk der Festspiele. Die Burgtheater-Dramaturgin und Jung-Regisseurin Cornelia Rainer hat Büchners romantisch überhitzten Text über den wahrscheinlich schizophrenen Sturm-und-Drang-Dichter nicht nur gekürzt, sondern auch emotional deutlich zurückgeschraubt. Da geistert also ein jugendlicher Quer- und Hitzkopf im soignierten Pastorenhaus herum. Dass Lenz in der Nacht fantasiert und in der Früh ein Bad im eiskalten Brunnen nimmt, erweckt Verwunderung. Dass er haltlos drauflos quasselt, während alle anderen schon fürs Amen im Gebet bereit sind, irritiert die fromme Gesellschaft. Dass Lenz sich im Zustand geistiger und emotionaler Verwirrung in selbstmörderischer Absicht aus dem Fenster stürzt, kommt bei Pastor Oberlin auch nicht so gut, aber der weiß immer ein probates Mittel: Beten! Wirkt bei Lenz gar nicht, auch wenn ihm der Pastor die auseinanderstrebenden Hände immer wieder mit Gewalt zusammendrückt.

Schließlich ist Lenz, nach zwanzig Tagen schon, wieder dahin. Schluss-Szene: Lenz ist – als eine Art Geist – noch auf der Bühne, zerrupft und wirr, während man im Hause Oberlin aufräumt und wieder dem routinierten Tagewerk, sprich: dem geordneten Beten nachgeht. Der Stürmer und Dränger hat die kleine heile Welt nicht aus den Angeln gehoben.

Das wäre fürs erzkatholische Salzburg, wo die Festspiele heuer gar mit einer „Ouverture spirituelle“ angefangen haben, vielleicht sogar eine Botschaft. Ist es aber nicht, weil Cornelia Rainer viel zu wenig Ambition hat, aus dem Lenz-Stoff wirklich Brisantes, gar Ätzendes zu destillieren. Wir erleben bloß achtzig Minuten lang, wie einer sich krass daneben benimmt und bestenfalls Irritation auslöst mit seinen Irrlichtereien.

„Theater Montagnes Russes“ heißt das zu Jahresbeginn erst aus der Taufe gehobene freie Ensemble aus Wien – wohl damit das Kind einen Namen hat und fürs Young Directors Project überhaupt in Frage kommt. Markus Meyer spielt den Lenz, als Rabauke darf er herumwirbeln auf und unter dem hölzernen Hochschaubahn-Gerüst, das den Bühnenrahmen bildet. Achtung, Metapher: Es geht emotional bergauf, bergab mit Lenz! Besonders arg nimmt es ihn her, als ein Mädchen stirbt (von der Begebenheit, bei Büchner ein Nukleus, wird hier nur berichtet). Da verlangt er gar ein Zeichen von Gott, so es einen solchen denn gebe.

Manfred Böll als Pfarrer Oberlin mit Talar und Beffchen macht würdige Figur: gütig, besserwisserisch und vor allem immer Herr der Lage. Gertrud Roll ist eine Luxusbesetzung für des Pastors Frau, die logischerweise wenig zu reden hat. Sie darf sich auf Geheiß ihres Mannes einmal von Lenz eine Liste seiner Werke diktieren lassen (ein dramaturgischer Kniff, der die Regisseurin für den Schulfunk empfiehlt – so lernt das Publikum was!). Alle anderen Figuren sind Stichwortbringer. Kohleherd, schlichter Tisch – man lebt und kleidet sich einfach im Steintal (Ausstattung: Aurel Lenfert).

Viel Charisma gibt der Aufführung die Musik der rätoromanisch/schweizerischen Gruppe Schi-Lunsch-Naven: eine Sound-Installation von Sophie Hunger mit Live-Musikbeiträgen. Wenn der Schlagzeuger Julian Sartorius mit seinen Schlägeln durch die Dekorationen wirbelt und das Bühnenbild zum Klingen bringt – das sind die bei weitem stärksten Momente des kurzen Abends.

Weiter Aufführungen am 12. und 13. August im republic - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Wolfgang Kirchner

 

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