700 Glühbirnen - und es geht kein Licht auf
FESTSPIELE / YOUNG DIRECTORS PROJECT / TOD IN THEBEN
12/08/10 Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Stimmt gar nicht. All jene, die im Gymnasium Informatik statt Griechisch oder sonst irgendwas anständigem Musischem gelernt haben, können ja immer noch zu den Festspielen gehen. Zum Beispiel zu "Tod in Theben" beim Young Directors Project.
Von Reinhard Kriechbaum
Da ist also Angela Richter, eine selbsternannte deutsche Theater-Kulturfrau, angetreten, Bildungslücken schließen. Bei Jon Fosse ist sie fündig geworden. Der Norweger hat eine Instant-Fassung gemacht aus den beiden Ödipus-Dramen und der Antigone auch gleich dazu. Womit Theben à la Sophokles erschöpfend abgearbeitet wäre. Leider hat Fosse auf Norwegisch geschrieben, was für diese eigenwillige Produktion - Episode drei im Young Directors Project der Festspiele - unpassend ist. Also wurde weiterübersetzt ins Deutsche, und das Ergebnis ähnelt dem Kinderspiel "Stille Post": Mit dem Unterschied, dass dort am Ende meistens etwas ziemlich Lustiges herauskommt, wogegen in Sachen Ödipus/Antigone bloß äußerst bedeutungsschwangere Sätze aufgefädelt sind.
Aber nicht nur Phrasen, auch bunte Glühbirnen. Girlanden gleich hängen sie von der Decke, über die ganze Bühnenbreite und -tiefe, im Abstand von jeweils ungefähr einem Meter. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sitzen links und rechts auf Stühlen. Wenn sie in eine bestimmte Rolle schlüpfen, bahnen sie sich einen Weg durchs Glühbirnenmeer. Was sie mit den Händen tun sollen, braucht ihnen die Regisseurin nicht zu sagen. Praktisch ist es, sich an den Glühlampenschnüren fest zu halten.
So also sagen alle meist stramm stehend ihren Text auf, zweieinhalb Stunden lang. Wer's zum König gebracht hat, darf auf einem kleinen Podest (eigentlich: einer Lautsprecherbox) stehen. Der Darsteller des Chors trägt eine Stoffmaske, und auch andere stülpen sich nach einem nicht ganz einleuchtenden System gelegentlich solche Masken über. Der verzweifelte Kreon sammelt sie am Schluss, wenn er die Namen der Todesopfer lamentierend aufzählt, alle ein und setzt sie übereinander auf. Womit zur Beifallsrunde (enden wollend) auch gleich ordentlich aufgeräumt ist.
Siebenhundert Glühbirnen - und kein Interpretationslicht geht auf! Über das pure Nacherzählen des Handlungsgerüstes kommt die Aufführung kaum hinaus. Die Regisseurin dürfte der wackeren Truppe gesagt haben, dass sie einen möglichst sachlichen, unpathetischen Ton anschlagen sollen. Das gelingt so einigermaßen. Was die Sprechdisziplin betrifft, kommt die Aufführung mit besserem Amateurtheater locker mit. Angela Richter hatte die Idee, im "Ödipus auf Kolonos"-Abschnitt die Glühlampen abzudrehen. Schließlich ist Ödipus da blind. So ist man für etwas über eine halbe Stunde auf ein Hörspiel im Dunkeln zurückgeworfen, und da wird die sprachliche Jämmerlichkeit dieser Aufführung erst so richtig deutlich.
Den Inhalt hat das um die klassische Bildung gebrachte Hänschen als Hans nun nachgeholt. Echtes Nachsitzen war das, im zweiten Theater-Bildungsweg.