Konzentration auf das Absurde
MdM MÖNCHSBERG / JÜRGEN KLAUKE
02/11/10 Rindermägen und Blutlachen und Stahlrohrsessel penibel auf- und übereinander gereiht. Gleich daneben - in elegantem Schwarz-Weiß - macht der Meister persönlich eine eigenwillige Kapriole - nachdem er lustvoll einen Luftballon hat zerplatzen lassen. „Nichts ist wie es scheint. Wo es scheint da ist nichts.“
Von Heidemarie Klabacher
In diesem Spannungsfeld - zwischen größter formaler Strenge und scheinbar purem performativem Übermut - bewegt sich das Werk von Jürgen Klauke. Das Museum der Moderne widmet dem Performance-, Foto- und Medienkünstler, dem Initiator der Performance Art in Deutschland, eine umfassende Werkschau.
Rindermägen und Blutlachen. Tatsächlich. Erst auf den zweiten oder dritten Blick erlaubt sich das Bewusstsein über knalligen Farbe auch den Inhalt wahrzunehmen: So sind kunstvoll und künstlich wirken die Objekte auf den aneinander und übereinander gereihten Fotographien mit Motiven aus dem Schlachthof. „Schockieren“ ist denn auch tatsächlich das Letzte, was Jürgen Klauke im Sinn hat mit seinen „Schlachtfeldern“.
„Die Bilder aus dem Schlachthof sind lange Zeit bei mir in der Schublade herumgelegen. Ich habe mit Innereien auch nicht zum ersten Mal gearbeitet“, sagt Jürgen Klauke. „Das Innenleben der Dinge“ habe ihn immer schon beschäftigt. Allfällige Provokation ist nicht gewollt: „Dazu ist mir die Sache viel zu ernst.“ Es gebe nur einfach Themata, mit denen die Menschen sich nicht beschäftigen wollen. Blut und Innereien gehören dazu. Aber auch Liebe und Tod, Hoffnung und Sehnsucht, die Nicht-Einlösung von Heilsversprechen und Enttäuschung: „Der ganze Apparat bleibt immer der selbe.“
Scheinbar ganz spielerisch gibt sich Jürgen Klauke in der Sereie „Reiz Reaktionssystem“: „Ein Helium gefüllter Ballon wird von mir zum Platzen gebracht. Der Meister selbst verändert sich bei jedem Knaller“, erklärt Klauke mit Ernst. Und tatsächlich reicht die Ausdruckspalette von weltentrückt bis schelmisch augenzwinkernd. Drei von acht Prints der Serie sind im MdM ausgestellt: Jedes Bild sei eigenständig, es gehe ihm nicht um die Serie.
Der Titel der Ausstellung „Ästhetische Paranoia“ haben sich die Kuratoren Toni Stooss, Esther Ruelfs bei Klaukes gleichnamiger Fotoprint-Serie ausgeliehen. Eine Person mit einer vier Meter langen Haarperücke auf einem weißen Polstermöbel steht hier im Zentrum: Die Haartracht ist dabei entweder ordentlich nach hinten gekämmt - wobei sie aber über den Bildrand hinauszufließen scheint - oder nach über das Gesicht des Modells oder nach oben in die Luft gekämmt. Strengste Geometrie herrscht. Zumindest bis sich die Ordnung auflöst und zerknüllte Decken und wirr fließendes Haar die Herrschaft übernehmen. Auch hier dürfte Klauke persönlich, alter Performer der er ja ist, unter der Perücke stecken.
Um Überfülle und Leere, Ordnung und Unordnung gehe es auch, so Klauke, in den Steckdosenbildern der Serien „Wackelkontakt“ oder „Sich selbst optimierende Systeme“. So streng genau kann der Performer seine Steckerleisten gar nicht anordnen, dass die schwingenden Kabel bei ausreichend langer Belichtung nicht doch die eigenwilligsten Streifen und Schlieren ziehen: Beruhigend beunruhigen, dass sich die Welt nicht einfach so „in Ordnung“ bringen lässt und die Dinge ihr Eigenleben führen - nicht zuletzt im Kopf des Betrachters.
Das die großformatigen oft nur in Schwarz-Schattierungen daherkommenden Fotoarbeiten hinter Glas besagten Betrachter oft stärker spiegeln als das Bild selber, sei wenn auch nicht unbedingt gewollt, werde von ihm aber keineswegs als Beeinträchtigung erlebt. „Meistens“ gebe es einen Blickwinkel, aus dem man das jeweilige Bild „rein“ sehe, meint Klauke.
Jürgen Klauke ist Jahrgang 1943. Er lebt und arbeitet seit 1968 in Köln und ist seit 1994 Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Er gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Performance-, Foto- und Medienkünstlern und ist einer der Initiatoren der Performance Art in Deutschland.
Jürgen Klauke hat im Bereich der Body Art und der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlich normierten Geschlechter-Identitäten und sozialen Verhaltensmustern Wegweisendes in der Kunst geleistet. Bekannt wurde er mit seinen Arbeiten aus den 1970er Jahren, in denen er den eigenen Körper als Material seiner Inszenierungen nutzt und sich mit kulturell vorgeprägten sexuellen Grund- und Verhaltensmustern unserer Gesellschaft beschäftigt.Über die Themenbereiche von Sexualität und Gesellschaft hinaus steht die menschliche Existenz mit ihren allgegenwärtigen Abgründen bis heute im Zentrum seines Werkes. „Unter Verwendung alltäglicher Materialien als Mittel der Bildinszenierung gelingt Jürgen Klauke dabei ein konzentrierter Blick auf die Absurdität des Lebens.“