Die Welt ist eine Schneekugel
MdM / RUPERTINUM / A MIND OF WINTER
28/11/19 Zwei Jäger verbergen sich hinter Bäumen und haben die Flinten gegeneinander gerichtet, während die Hirsch und Hirschkuh ganz unbehelligt daneben stehen. Ein Mann wird zur Schlinge geführt, die von einem Ast baumelt. Wegelagerer scheinen auch unterwegs zu sein.
Von Reinhard Kriechbaum
Es sieht auf den ersten Blick ganz so aus, als ob die Polizei mit dem Aufnehmen dieser Kriminalfälle, die sich in den possierlichen Scheekugeln (auch) finden, viel zu tun hätte. Ein zweiter Blick zeigt, dass sich in den Kugeln von dem Amerikaner Walter Martin und der gebürtigen Spanierin Paloma Muñoz, die jetzt im Rupertinum einen ganzen Raum einnehmen, auch sehr sympathische Szenerien verstecken. Märchenhafte Szenen etwa.
Da hängt eine Frau Wäsche an die Leine, und weil die offenbar zu kurz ist, muss auch das Geweih eines Elchs herhalten, der gerade da steht. In einer Kugel lässt eine Frau mit Dirigentenstab eine Gruppe Menschen in der Schneelandschaft tanzen. Die Figuren finden sich als Modelleisenbahn-Utensilien.
Spätestens ein dritter Blick offenbart viel Hintergründiges. Den beiden Künstlern, die in der Pampa von Pennsylvania leben und hier ihre verschneiten Naturmotive finden, sind nämlich Ironie, ja Sarkasmus nicht fremd. Sie beobachten Menschen (es geht wohl um die amerikanische Middle Class) und ihre Sitten an und verwandeln das Gesehene in absurde Genres.
Die Schneekugelwelt von Walter Martin und Paloma Muñoz ist nur vordergründig eine runde, sie steckt doch voller Ecken und Kanten. Die beiden fotografieren ihre kleinen Dioramen auch. In der der vergrößernden Projektion gewinnen die Motive nochmal an Absurdität, manchmal auch an Bedrohlichkeit. Das hat etwas von der Verspieltheit eines Pieter Breughel, kombiniert mit der Dämonie eines Hieronymus Bosch. Kentauren als Lasttiere? Es wundert einen bald nichts mehr.
Dass viel Gesellschaftskritik drin steckt in diesen Arbeiten, darauf muss man nicht erst aufmerksam gemacht werden. Eine Fotoserie von Gebäuden ohne Fenstern und Türen lässt einen nachdenken über das enthemmt öffentlichte Leben der Facebook-Generation. Sind diese Blind Houses radikal-kompromisslose Rückzugsorte – und was passiert dort? Walter Martin und Paloma Muñoz haben auch romantische Landschaftsgemälde aus dem Amerika des 19. Jahrhunderts verfremdet. In beleuchteten Guckkasten sehen wir diese Motive, aber da sind jetzt Menschen auf der Flucht vor apokalyptischen Katastrophen. Da ist alle Schneekugel-Gemütlichkeit dahin.
Ach ja, schade: Die Schneekugeln darf man nicht umdrehen und schütteln (obwohl es funktionierte). Sie sind auf ihren Sockeln festgeklebt. Aber in einem Raum ist eine riesige Plastik-Kugel aufgeblasen. In diese Utopia Work Station darf man durch eine Luftschleuse hinein krabbeln und auf einer altmodischen Schreibmaschine seine eigene absurde Geschichte tippen, zu der einen die Kugeln und Bilder der Ausstellung A Mind of Winter möglicherweise angeregt haben.
Arbeiten von Walter Martin und Paloma Muñoz sind übrigens nicht das erste Mal in Salzburg zu sehen, die beiden Künstler werden auch von der Galerie Mauroner vertreten, da war schon die eine oder andere Schneekugel zu entdecken.